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Awareness oder Awareless: Gedanken zum Fehlermachen

Awareness oder Awareless: Gedanken zum Fehlermachen published on 3 Kommentare zu Awareness oder Awareless: Gedanken zum Fehlermachen

diegruetze

Ich habe vor einigen Tagen Scheiß gebaut. Begonnen hat alles mit dem Artikel über Jürgen von der Lippe, der einen Schwall misogyner, biologistischer Äußerungen und flacher Witze losließ und es damit auf Spiegel online schaffte. So weit, so normal, so traurig. Es ist an der Tagesordnung, dass weiße Cis-Männer Stimmung machen gegen Gruppen, denen sie nicht angehören. Mich macht das jedes Mal traurig und wütend, zumal die Argumentationslinien eigentlich immer von vollständiger Unfähigkeit zum Aneinanderreihen logischer Schlüsse sowie mangelnder Empathie zeugen.

Ich wähle in solchen Fällen oft einen satirischen Umgang mit dem aktuellen Stein des Anstoßes: Ich versuche, die Aussagen weiter zu überspitzen und so auch für die un-awarste Person der Welt ins Absurde zu treiben. Mir hilft das meist, Distanz zum Thema zu bekommen.

Dieses Mal griff ich damit allerdings vollkommen ins Klo. Denn meine eigene Satire ließ sich nicht von dem Flachwitz von Herrn von der Lippe unterscheiden. Im Gegenteil, mein Verhalten war leicht so lesbar, dass ich die misogyn-biologistische Meinung unterstützte!
Ich merkte das allerdings erst, als ich auf Twitter darauf hingewiesen wurde. Mehrfach.

Zunächst verhielt ich mich nicht eben wie eine erwachsene Person, wenn sie einen Call-out erhält: Ich blockte ab, leugnete, relativierte. Ich rechtfertigte mich, forderte für mich Verständnis ein und verstand die Argumente meiner Kritiker*innen nicht. „Ich bin doch Queer-Feministin, die sind doch per definitionem nicht biologistisch, wie kann ich da biologistische Scheiße verzapfen?“ So lautete mein inneres Argument, das mich davon abhielt, weiter nachzudenken und mit unvoreingenommenen Augen meine eigenen Aussagen anzuschauen.

Tja, Pustekuchen. Denn natürlich kann sich auch eine Queer-Feministin kacke und biologistisch verhalten – zum Beispiel, wenn sie ihr Verhalten in bestimmten Kontexten sieht – und die Augen vor anderen Kontexten verschließt.

Inzwischen sehe ich meinen Fehler deutlich. Und auch, wenn ich etwas „nicht so gemeint habe“, gilt natürlich: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Ebenso, wie Frauen* sexistisch sein können, kann auch ich als Queer-Feministin biologistische Diskriminierung reproduzieren. Auch klar ist mir inzwischen, dass ich durch mein unawares und unreflektiertes Verhalten Menschen verletzt habe. Dafür möchte ich hier nochmals um Entschuldigung bitten – rückgängig machen kann ich das Geschehene leider nicht.

otherland2

Ich bin sehr froh um diejenigen, die Stellung bezogen haben gegen meine Aussagen. Und um die, die die Zeit und Kraft gefunden haben, sich mit meinem Verhalten auseinanderzusetzen und mir zu erklären, wo ich meinen Fehler nicht von mir aus gesehen habe. Dass diese Art von Feedback nicht einforderbar ist, ist mir bewusst, und umso dankbarer bin ich, es erhalten zu haben.

Menschen werden nicht aware für Diskriminierungen geboren, im Gegenteil: Die Mechanismen der Sozialisation tun ihr Möglichstes, sie früh in den Mainstream einzupassen, und der ist alles, aber nicht aware. (Ich verwende die Begriffe „Awareness“ und „aware sein“ im Sinne der Bewusstheit, dass vielfältige Diskriminierungsstrukturen existieren, von denen einige profitieren und von denen andere ausgeschlossen sind, und dem daraus folgenden Wunsch, diese Strukturen mindestens im eigenen Handeln und Denken zu überwinden.) Natürlich gibt es auch Menschen, die Diskriminierungen und die dahinterliegenden Strukturen schon früh erkennen gelernt haben, sei es durch Erziehung oder eigene frühe Lernerfahrungen. Die Regel ist das aber leider nicht.

Für mich war mein persönliches Aware-Werden ein Prozess, der nicht gerade systematisch verlief. Ich bin da so irgendwie reingestolpert, Schrittchen für Schrittchen, weil mir Menschen wichtig sind. Alle Menschen. Nicht nur die schönen schlanken weißen Upperclass-Cis-Heten, die einer überall um die Ohren gehauen werden. Und irgendwann auf dem Weg begann ich, Diskriminierungen wahrzunehmen. Erst in einem Bereich, dann in einem weiteren, und so weiter. Ich habe die einschlägigen Werke der feministischen Primärliteratur nicht gelesen. Mein Zugang ist hemdsärmelig. Ich bin eine von denen, die im Bereich Antidiskriminierung die Sekundärliteratur bevorzugt. Weil sie meist näher an meinem Alltag und verständlicher aufbereitet ist, und weil meine Kapazitäten für theoretische Abhandlungen begrenzt sind durch meine berufsbedingte Beschäftigung mit karger Fachliteratur.

Auch darum mache ich Fehler, und ich mache sie nicht zu knapp. Vor wenigen Jahren noch wäre ich eine von denen gewesen, die nicht verstanden hätte, was Cis-Sexismus überhaupt sein soll, auf welch vielfältige Weise mein Weiß-sein mir das Leben erleichtert oder welche Vorteile ich durch meine Heterosexualität genieße. Ich hatte so viele leere Flecken auf der Landkarte „Awareness“, ich kann sie gar nicht zählen. Mit der Zeit wurden diese Bereiche weniger. Ich verstand mehr. Die Zusammenhänge, die Strukturen, wer auf welche Weise von Diskriminierung profitiert.

Viele Lektionen lernte ich durch die Fehler, die ich machte. Fehler im Umgang mit anderen, bei denen ich mich – natürlich! – zunächst im Recht sah und nicht die Notwendigkeit, mein Verhalten zu hinterfragen. Fehler, bei denen ich andere Menschen verletzte, ihnen Unrecht tat – und es oft erst viel später merkte. „Sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden, ist ein schmerzhafter Prozess!“ sage ich inzwischen oft, und ich sage es aus Erfahrung. Diese Art von Offenheit, die nötig ist, um Kritik zuzulassen, macht auf sehr persönlicher Ebene verletzlich. Wenn ich Fehler eingestehen muss, dann muss irgendwas an meinem Bild der Welt, meinen Werten, meinen Normen, falsch gewesen sein! An mir. Wer weiß, was dann noch alles falsch ist? Fehler machen und zugeben ist wohl niemandes Lieblingsbeschäftigung .

Umso wichtiger finde ich es als Person, die bereits einige Schritte auf dem Weg zu Awareness gegangen ist, offen für Kritik zu bleiben, und einen positiven Umgang mit Fehlern zu pflegen, bei mir selbst und, wenn die Kraft da ist, auch bei anderen.

Warum Ubisoft irrt: Spielbare weibliche Charaktere und das Märchen vom „Mehraufwand“

Warum Ubisoft irrt: Spielbare weibliche Charaktere und das Märchen vom „Mehraufwand“ published on 15 Kommentare zu Warum Ubisoft irrt: Spielbare weibliche Charaktere und das Märchen vom „Mehraufwand“

Konsolenspiel Soul Calibur II Ubisoft hat also nicht vor , einen spielbaren weiblichen Charakter in ihr neuestes Spiel der Assassin’s-Creed-Reihe einzufügen. Das ist bedauerlich. Nicht nur, weil so dem ohnehin vermutlich lauwarmen Aufguss eines alten Franchise die Chance genommen wird, wirklich so revolutionär zu sein, wie es sich gerne gibt . Sondern auch, weil wieder einmal Lügen erzählt werden, um unpopuläre (sic!) Entscheidungen zu rechtfertigen.

Das Märchen vom Mehraufwand

Ich habe eine Weile in einer Spieleschmiede gearbeitet. Das ist schon etwas her, aber allzu sehr dürften sich die Aufgaben nicht geändert haben: Sehr grob gesagt umfasst das Design die Gestaltung der Umgebung, der spielbaren Chars und der NSCs einschließlich der Texturen und der Animationen. Hinzu kommt natürlich die Programmierung der Welt an sich, wofür ich kein Fachmensch bin, die Story und damit einhergehend das Leveldesign.

Was hätte sich durch einen weiblichen Charakter geändert? Die Programmierung, einen der massivsten Batzen bei der Spieleentwicklung, hätte man wohl kaum angehen müssen. Die Grafik, nicht wahr? Denn Frauen sehen doch ganz anders aus, vor allem in Videospielen! Gut, schauen wir uns doch die Grafik an: Da haben wir Texturen für diverse Kostüme. Ja, die hätte man ändern müssen. Tiefe Ausschnitte müssten her. Das Kostüm müsste Bein zeigen. So will es die männliche Käuferschaft. Und warum nicht noch einige Arbeitstage darauf verwenden, die Brüste extra zu animieren ?

Und dann stellen sich unvermeidlich auch einige Fragen außerhalb der reinen Erscheinung. Könnte der weibliche Charakter die gleichen Waffen und Rüstungen tragen wie der männliche? Vermutlich nicht, Frauen sind doch schwächer als Männer. Dafür aber schneller, das weiß man doch. Also müsste man auch hier Anpassungen vornehmen. Und natürlich müsste ein weiblicher Charakter auch in den Bewegungen sexy sein. Die Hüften schwingen. Feminine Dinge in den Idle-Animationen machen, zum Beispiel sich gelangweilt die Fingernägel lackieren oder die Frisur richten…

Und das alles muss doch eine Menge Geld kosten!

Frauen, die Menschen sind

Und was, wenn das alles so nicht sein müsste? Was, wenn eine Frau, die ihr Leben mit dem Meucheln von Menschen zubringt, mit Kampf und Athletik, nicht ganz so sehr aussähe wie der feuchte Traum eines heterosexuellen Mannes , sondern wie ein sportlicher Mensch ? Was, wenn sie sich nicht bewegen würde wie eine Stripperin, sondern wie jemand, die gelernt hat, unauffällig zu sein, sich anzupassen? Was, wenn die Kostüme nicht erst von Fans in Fanblogs repariert werden müssten , weil sie dank ihrer Ausschnitte und sexy Gucklöcher als Rüstung vollständig dysfunktional sind? Was, wenn Frauen, analog zum berühmten Zitat von Rebecca West, radikalerweise nicht als weibliche Objekte, die besonders behandelt und ausstaffiert werden müssen, sondern als Menschen dargestellt würden? Nehmen wir das als Grundlage, ist eine Erweiterung um eine spielbare Protagonistin wesentlich weniger aufwändig, als uns die Spieleindustrie gern glauben machen will.

Dennoch: Trotz des widrigen Umstandes, dass Frauen nur 4% der spielbaren Charaktere ausmachen, stellen sie 45% der Spieler*innen . Und wir wären sicher noch begeisterter, könnten wir uns besser mit unseren Chars identifizieren. Ohne Sonderbehandlung als Ms. Male Character , ohne sexy Rüstungen, ohne Einschränkungen.

Wir wollen spielen!

Nachtrag vom 14.06.2014: Offenbar hat der Entwickler Jonathan Cooper, der selbst an einigen Ubisoft-Titeln mitgearbeitet hat, einiges zu der Behauptung seines Ex-Arbeitgebers zu sagen. Laut seinen Tweets gab es bereits spielbare Testversionen eines weiblichen Charakters in Assassin’s Creed Unity. Er fügt seiner Stellungnahme hinzu, dass nur wenige Schlüsselsequenzen ausgetauscht werden müssten, was einem Aufwand weniger Entwicklertage entspricht – eine geradezu lächerlich kleine Zeitspanne, verglichen mit der Gesamtentwicklungsdauer eines Spiels. Jonathan Cooper spricht auch an, dass das Modellieren und Voice Acting natürlich zusätzlichen zeitlichen Aufwand bedeutet hätten. Dass dies aber analog zur Gestaltung und dem Einsprechen von männlichen Charakteren zu sehen ist, ist klar.

Die ganze Geschichte, einschließlich der Tweets des Entwicklers, findet ihr in dem Artikel von The Mary Sue .

Ein Jahr mit euch – Danke!

Ein Jahr mit euch – Danke! published on Keine Kommentare zu Ein Jahr mit euch – Danke!

<3 Ein Jahr ist es jetzt her, dass unser Gemeinschaftsblog „Der k_eine Unterschied“ das Licht der Welt erblickte. Ein Jahr lang haben wir gemeinsam Beiträge geschrieben. Wir haben diskutiert, uns gestritten, uns gegenseitig Mut zugesprochen. Wir haben Artikel redigiert, Themen gesucht, Themen von der Welt aufgedrückt bekommen. Wir haben persönliche Geschichten geteilt und uns Gedanken gemacht über aktuelles Zeitgeschehen. Wir haben analysiert, auseinandergepflückt, waren kritisch, zynisch, und manchmal waren wir auch lustig.

Und das alles waren wir gemeinsam. Zusammen.

Wir.

Darum möchte ich heute Danke sagen. Danke, liebstes und bestes Blogteam der Welt! Danke, Bones, danke Tugendfurie, danke Weird und Wildfang! Es ist eine Ehre und Freude, mit euch gemeinsam darüber zu schreiben, was uns gemeinsam bewegt.

Und danke auch euch, liebe Menschen, die uns lesen, die uns auf Twitter und Facebook teilen, auf ihren eigenen Blogs verlinken, unsere Texte diskutieren!

Danke für dieses Jahr!

<3

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