Ich habe vor einigen Tagen Scheiß gebaut. Begonnen hat alles mit dem Artikel über Jürgen von der Lippe, der einen Schwall misogyner, biologistischer Äußerungen und flacher Witze losließ und es damit auf Spiegel online schaffte. So weit, so normal, so traurig. Es ist an der Tagesordnung, dass weiße Cis-Männer Stimmung machen gegen Gruppen, denen sie nicht angehören. Mich macht das jedes Mal traurig und wütend, zumal die Argumentationslinien eigentlich immer von vollständiger Unfähigkeit zum Aneinanderreihen logischer Schlüsse sowie mangelnder Empathie zeugen.
Ich wähle in solchen Fällen oft einen satirischen Umgang mit dem aktuellen Stein des Anstoßes: Ich versuche, die Aussagen weiter zu überspitzen und so auch für die un-awarste Person der Welt ins Absurde zu treiben. Mir hilft das meist, Distanz zum Thema zu bekommen.
Dieses Mal griff ich damit allerdings vollkommen ins Klo. Denn meine eigene Satire ließ sich nicht von dem Flachwitz von Herrn von der Lippe unterscheiden. Im Gegenteil, mein Verhalten war leicht so lesbar, dass ich die misogyn-biologistische Meinung unterstützte!
Ich merkte das allerdings erst, als ich auf Twitter darauf hingewiesen wurde. Mehrfach.
Zunächst verhielt ich mich nicht eben wie eine erwachsene Person, wenn sie einen Call-out erhält: Ich blockte ab, leugnete, relativierte. Ich rechtfertigte mich, forderte für mich Verständnis ein und verstand die Argumente meiner Kritiker*innen nicht. „Ich bin doch Queer-Feministin, die sind doch per definitionem nicht biologistisch, wie kann ich da biologistische Scheiße verzapfen?“ So lautete mein inneres Argument, das mich davon abhielt, weiter nachzudenken und mit unvoreingenommenen Augen meine eigenen Aussagen anzuschauen.
Tja, Pustekuchen. Denn natürlich kann sich auch eine Queer-Feministin kacke und biologistisch verhalten – zum Beispiel, wenn sie ihr Verhalten in bestimmten Kontexten sieht – und die Augen vor anderen Kontexten verschließt.
Inzwischen sehe ich meinen Fehler deutlich. Und auch, wenn ich etwas „nicht so gemeint habe“, gilt natürlich: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Ebenso, wie Frauen* sexistisch sein können, kann auch ich als Queer-Feministin biologistische Diskriminierung reproduzieren. Auch klar ist mir inzwischen, dass ich durch mein unawares und unreflektiertes Verhalten Menschen verletzt habe. Dafür möchte ich hier nochmals um Entschuldigung bitten – rückgängig machen kann ich das Geschehene leider nicht.
Ich bin sehr froh um diejenigen, die Stellung bezogen haben gegen meine Aussagen. Und um die, die die Zeit und Kraft gefunden haben, sich mit meinem Verhalten auseinanderzusetzen und mir zu erklären, wo ich meinen Fehler nicht von mir aus gesehen habe. Dass diese Art von Feedback nicht einforderbar ist, ist mir bewusst, und umso dankbarer bin ich, es erhalten zu haben.
Menschen werden nicht aware für Diskriminierungen geboren, im Gegenteil: Die Mechanismen der Sozialisation tun ihr Möglichstes, sie früh in den Mainstream einzupassen, und der ist alles, aber nicht aware. (Ich verwende die Begriffe „Awareness“ und „aware sein“ im Sinne der Bewusstheit, dass vielfältige Diskriminierungsstrukturen existieren, von denen einige profitieren und von denen andere ausgeschlossen sind, und dem daraus folgenden Wunsch, diese Strukturen mindestens im eigenen Handeln und Denken zu überwinden.) Natürlich gibt es auch Menschen, die Diskriminierungen und die dahinterliegenden Strukturen schon früh erkennen gelernt haben, sei es durch Erziehung oder eigene frühe Lernerfahrungen. Die Regel ist das aber leider nicht.
Für mich war mein persönliches Aware-Werden ein Prozess, der nicht gerade systematisch verlief. Ich bin da so irgendwie reingestolpert, Schrittchen für Schrittchen, weil mir Menschen wichtig sind. Alle Menschen. Nicht nur die schönen schlanken weißen Upperclass-Cis-Heten, die einer überall um die Ohren gehauen werden. Und irgendwann auf dem Weg begann ich, Diskriminierungen wahrzunehmen. Erst in einem Bereich, dann in einem weiteren, und so weiter. Ich habe die einschlägigen Werke der feministischen Primärliteratur nicht gelesen. Mein Zugang ist hemdsärmelig. Ich bin eine von denen, die im Bereich Antidiskriminierung die Sekundärliteratur bevorzugt. Weil sie meist näher an meinem Alltag und verständlicher aufbereitet ist, und weil meine Kapazitäten für theoretische Abhandlungen begrenzt sind durch meine berufsbedingte Beschäftigung mit karger Fachliteratur.
Auch darum mache ich Fehler, und ich mache sie nicht zu knapp. Vor wenigen Jahren noch wäre ich eine von denen gewesen, die nicht verstanden hätte, was Cis-Sexismus überhaupt sein soll, auf welch vielfältige Weise mein Weiß-sein mir das Leben erleichtert oder welche Vorteile ich durch meine Heterosexualität genieße. Ich hatte so viele leere Flecken auf der Landkarte „Awareness“, ich kann sie gar nicht zählen. Mit der Zeit wurden diese Bereiche weniger. Ich verstand mehr. Die Zusammenhänge, die Strukturen, wer auf welche Weise von Diskriminierung profitiert.
Viele Lektionen lernte ich durch die Fehler, die ich machte. Fehler im Umgang mit anderen, bei denen ich mich – natürlich! – zunächst im Recht sah und nicht die Notwendigkeit, mein Verhalten zu hinterfragen. Fehler, bei denen ich andere Menschen verletzte, ihnen Unrecht tat – und es oft erst viel später merkte. „Sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu werden, ist ein schmerzhafter Prozess!“ sage ich inzwischen oft, und ich sage es aus Erfahrung. Diese Art von Offenheit, die nötig ist, um Kritik zuzulassen, macht auf sehr persönlicher Ebene verletzlich. Wenn ich Fehler eingestehen muss, dann muss irgendwas an meinem Bild der Welt, meinen Werten, meinen Normen, falsch gewesen sein! An mir. Wer weiß, was dann noch alles falsch ist? Fehler machen und zugeben ist wohl niemandes Lieblingsbeschäftigung .
Umso wichtiger finde ich es als Person, die bereits einige Schritte auf dem Weg zu Awareness gegangen ist, offen für Kritik zu bleiben, und einen positiven Umgang mit Fehlern zu pflegen, bei mir selbst und, wenn die Kraft da ist, auch bei anderen.