Ich lebe in einer Filter Bubble. Die Menschen in meinem direkten Umfeld sind reflektiert und offen, Feminismus und Genderkram sind bei uns schon lange ein Thema und das Streben nach Gleichberechtigung eine Selbstverständlichkeit. Das ist wichtig für meine persönliche Entfaltung und angenehm im alltäglichen Leben – kann aber zu einem Schock führen, wenn man in die Welt hinaus guckt. Oder auch nur um die Ecke ins Internet. Damit meine ich nicht den Blick in Blogs, Foren und auf Seiten zu Feminismus und co. Dass sich da Trolle rumtreiben ist mir nicht neu; darauf bin ich gefasst. Mir geht es um Blogs, Foren und Seiten, die keinerlei Bezug zu irgendwelchen Geschlechterdebatten haben, in denen die Leute es aber schaffen, in ganz alltäglichen Beiträgen immer wieder ganz selbstverständlich Geschlechterdifferenzen zu benennen und zu konstruieren.
Als nebenberufliche Spinnerin (ja, so mit Faden – nicht das andere Spinnen) treibe ich mich auf entsprechenden Seiten herum, folge auf Facebook thematisch passenden Seiten und bin Mitglied in einem Tauschforum für Handgemachtes.
In letzter Zeit fällt mir immer mehr auf, wie stark dort viele Leute im Alltag Zuordnungen von Farben, Dingen/Interessen und Eigenschaften zu einem Geschlecht vornehmen. Sei es im Tauschforum, wo nach “Jungsstoff” gesucht oder “Mädchenhaftes” angeboten wird oder auf Handmade Kultur, die auf Facebook ein “Pinkes Mädchen-Kucheneis am Stiel” promoten. Eine potentielle Tauschpartnerin schrieb mir, dass sie Garn mit Pink nicht gebrauchen könne, weil sie für Jungs stricke. Es ist niemals auf individueller Basis, niemals etwa die Aussage “meine Tochter mag pink” / “mein Bruder findet pink total doof” o.ä. Es ist immer die Aussage, dass es etwas mit dem Geschlecht zu tun hat. Und mit dieser Aussage wird das Stereotyp einmal mehr reproduziert und verfestigt. Und es geht mir UNGLAUBLICH auf die Nerven! Es ist einschränkend für alle Beteiligten und hindert Menschen daran, ihre eigenen Interessen und Vorlieben zu entwickeln und auszuleben.
Die Farbzuordnung ist nur eine Sache und ist symptomatisch für die fortwährende Konstruktion von Geschlechterdifferenzen in unserer Gesellschaft. Egal, ob es sich dabei um Eigenschaften handelt oder um Vorlieben und Interessen, immer wieder geistert die Zuschreibung zu einem Geschlecht (von zweien, aber das ist eine andere Debatte) herum. Am Ende (oder mittendrin) wird dann wieder vom “Kampf der Geschlechter” gesprochen, den es gar nicht geben könnte, wenn nicht andauernd zwei Fronten konstruiert würden. Ob es diesen Kampf als solchen tatsächlich gibt oder nicht, ist sicherlich debattierbar – aber die Tatsache, dass diese Phrase immer mal wieder auftaucht, zeigt, dass die Gegenüberstellung zweier Geschlechter häufig so wahrgenommen wird.
Also, ich hab’ die Schnauze voll. Wie wäre es, bei Null anzufangen, zu überlegen, was die eigenen Vorlieben und Interessen sind und die zu leben – ohne ständig auf ein Geschlecht zu verweisen? Natürlich sind wir nicht losgelöst von der restlichen Gesellschaft, in der wir leben und es ist nicht immer einfach, eigene Interessen auszuloten und auszuleben – aber sie gedanklich von Geschlechtszuweisungen zu lösen, wäre ein Anfang.
Freiheit für alle!