(Ich rede in diesem Text viel von Frauen und Männern. Mir ist bewusst, dass Geschlecht sozial konstruiert ist, und ich meine, wenn ich die Begriffe „Mann“ und „Frau“, „männlich“ und „weiblich“ im Text verwende, stets diese soziale, kulturell geprägte Lesart. Auch ist mir bewusst, dass Geschlecht eher einem Kontinuum als binären Kategorien entspricht.)
Gerade habe ich die Glotze ausgemacht. Und ich bin sauer. Denn ich habe wieder einmal Frauen gezählt .
Naja, ich bin ja selbst Schuld: Seit einiger Zeit schon zähle ich Frauen. In Führungsetagen, in Filmen, bei Events , in Talkrunden, in Musikbands, auf Wahllisten. Ich zähle Frauen, um einen Eindruck zu gewinnen: Wie sehr haben sich die Menschen bemüht, diese simpelste Dimension von Diversität zu honorieren? Wenn sich in einer Diskussionsrunde unter sieben Männern nur eine Frau befindet, ruft das bei mir Stirnrunzeln hervor. Sind weibliche Lebensrealitäten (Plural!) hier nicht von Interesse, oder gar unerwünscht? Wurden Frauen einfach vergessen? Oder haben die Produzenten einfach nur ihre Dudebros gefragt, statt ernsthaft nach Expert*innen zu suchen?
Es ist unbestreitbar: Repräsentation ist wichtig! Gibt es keine Frauen in Führungsetagen, sendet das die Botschaft aus: Frauen sind hier nicht willkommen. Gibt es keine tragenden weiblichen Rollen in einem Film, sagt das: Die Geschichten von Frauen verdienen es nicht, erzählt zu werden. Gibt es nur eine weibliche Rolle, sagt das: Hey schau, wir haben sie doch drin – die Frau. Die eine. Die, die wie alle Frauen ist. Gleich. Immer gleich.
Aber zurück zu heute Abend. Ich habe die Sendung „ Der Haushalts-Check mit Yvonne Willicks – Waschen“ gesehen. Nach der Tagesschau bin ich daran hängen geblieben, und naja, es ist mir so passiert. Nach kurzer Zeit des Frauenzählens wurde ich allerdings misstrauisch: Da waren so viele Frauen! Fast nur Frauen! Eine Frau führt durch die Sendung, Frauen werden auf der Straße befragt, zu Hause besucht. Eine längere Szene betrachtete ein ganzes Dorf, und man sah hier – Frauen! Frauen über Frauen! Insgesamt zwei Männer konnte ich ausmachen, sie standen verschämt am Rand der Gruppe von geschätzt 40 Frauen auf der Dorfwiese.
Auffällig war aber auch: Immer, wenn es darum ging, Profis zu bestimmten Themen zu Wort kommen zu lassen, war von Frauen plötzlich nicht mehr die Spur. Die Frauenquote brach ein und landete nach Befragung von insgesamt 4 Experten bei: 0%. Da werden mehrere Dutzend Frauen zum Wäschewaschen befragt, aber die, deren Meinung Gewicht hat, an die wir uns hinterher erinnern – sind männliche Experten.
Das Phänomen Expertenmann
Die Gleichung „Profi / Expert*in in Frauendingen = Mann“ ist bedauerlicher Weise weit verbreitet. Da stylen im Frühstücksfernsehen Expertenmänner Frauen um , die einfach nicht wissen, wie sie sich vorteilhaft schminken sollen. Expertenmänner zeigen Models, wie sie sich sexy auf dem Laufsteg bewegen , auch auf unmenschlich hohen Schuhen . Expertenmänner bewerten Geschmack und Stil von Frauen . Denn sie wissen es ja besser, denn ihr Geschmack ist unfehlbar. Männer schneiden Frauen die Haare , besser, als sie es selbst je könnten.
Eingedampft sendet dies in etwa folgende Botschaft aus: Eine Frau, die nur ihr Leben lebt, sich anzieht, vielleicht schminkt, vielleicht nicht, die eventuell den Haushalt macht, egal, ob sie noch einen anderen Beruf hat oder nicht, naja, die ist halt einfach kein Profi! Die hat dieses Frau-sein ja nicht irgendwo professionell gelernt! Also, da sollte mal ein Mann kommen und ihr zeigen, wie das richtig geht!
Männer, Experten in allen Dingen. Und Frauen, Expertinnen für nichts.
Rollen zählen
Womit ich wieder beim Wäsche waschen wäre. Denn hier stoße ich mit einfachem „Frauen zählen“ auf ein Problem: Würde ich einfach nur Frauen zählen, ungeachtet der Rolle, in der sie präsentiert werden (sic!), müsste ich zu dem Schluss kommen, dass Frauen hier doch recht passabel wegkommen: Es werden eine Menge Frauen gezeigt. Sicher, jede nur kurz, aber da!
In komplexen Settings, gerade in Film und TV, in denen nicht jeder auftretenden Person eine ähnlich starke Rolle zuteil wird, sondern in denen hierarchische Gefälle dargestellt werden, lohnt es, genau hinzuschauen. Wenn beispielsweise Expert*innen mit ahnungslosen Personen kontrastiert werden, ist es sinnvoll, statt Frauen Rollen zu zählen . Und das geht so: Statt nur die Häufigkeit von Frauen zu betrachten, wird auch die Rolle hinzugenommen, in der sie auftreten. Das kann auf einfachem Niveau geschehen: Wie viele Frauen tauchen auf, die Fragen stellen, ohne je eine zu beantworten? Wie viele Frauen werden als Expert*innen gezeigt? Wie viele in Gebieten, die nicht stereotyp weiblich konnotiert sind?
Diese zusätzliche Dimension deckt Stereotype auf, wo sich Formate einen progressiven Anstrich geben wollen, aber nicht aus ihrem eigenen Vorurteilssumpf herausschauen können. Und weiter nur Stereotype reproduzieren, anstatt Rollenklischees aufzubrechen.
Aber Vorsicht: Es gibt keinen Weg zurück. Wer mit dem Rollen zählen begonnen hat, blickt in den Abgrund. Und muss vielleicht feststellen, dass für manche Menschen bis heute unvorstellbar ist, dass eine weibliche Expertin etwas Erhellendes zum Thema Waschen beitragen kann.
6 Kommentare
Sie treffen den Nagel auf den Kopf !
Seitdem ich angefangen habe (vor einigen Jahren) darauf zu achten, wieviele Frauen in welchen Rollen in den Medien zu sehen sind (vom Bechdel-Test mal ganz abgesehen), sehe ich es überall. Und das IST definitiv ein Abgrund.
Frau kann keinen Film, keine Werbung und keinen Zeitungsbericht mehr ansehen/lesen, ohne wütend zu werden. Echt, manchmal wünsche ich mir die „heilige Einfalt“ zurück. Dann könnte ich auch wieder Spaß an Filmen haben …
Aber vielleicht braucht es mehr von uns, damit endlich die kritische Masse erreicht ist.
LG, Titanica
Danke!
Das ist genau das, was mich schon in meiner frühesten Jugend, wo man ja leicht beeinflussbar ist, sehr gestört hat. Warum sind Frauen immer nur schmückendes Beiwerk? Warum haben sie so hohle Rollen? Warum sind sie so selten die intelligente, alles rettende Hauptfigur sondern immer nur das gerettete Weibchen, das sich in seiner Naivität und Schusseligkeit selbst in Problemsituationen gestürzt hat?
Es ist ganz gleich, was man schaut. Ob nun Film, Serie, Doku oder wasauchimmer. Frauen sind immer ENTWEDER hübsch und ganz fürchterlich sympathisch, aber blass am Rande situiert, ODER bratzhohl und hässlich-ungepflegt bis heruntergekommen und dabei laut und negativ auffallend. Selten mal was anderes. Und wenn dann halbnackt.
[…] Prozent oder die Männerlastigkeit von Deutschlandradio Kultur). Der k_eine Unterschied geht mit „Rollen zählen“ noch einen Schritt weiter: Wenn Frauen dabei sind nachzählen, ob sie selbst Wissen vermitteln […]
Boah, mir geht es ganz genau so! Und die Frauen*zählerei kann echt eine Spielverderberin sein. Manche Filme, Bücher etc., die ich als Jugendliche noch toll fand, sind für mich nicht mehr tragbar, seitdem ich damit angefangen habe bzw. zusätzlich zur Zählerei auch noch damit, zu überprüfen, in welcher Form die anwesenden wenigen Frauen* denn überhaupt präsentiert werden. Trotzdem will ich nicht damit aufhören, denn dadurch bin ich zugleich aufgefordert, bewusster zu konsumieren und kann immerhin versuchen, Frauen* geziehlt zu unterstützen oder ihre Unterrepräsentatioen zu boykottieren. Z.B. habe ich mir vorgenommen, dieses Jahr vorwiegend Bücher von Autor*innen zu lesen und schaue auch, wenn ich ins Theater gehe darauf, ob wenigstens eine Frau Regie geführt oder das Stück geschrieben hat etc. (das gleiche versuche ich übrigens auch in Bezug auf POC, aber da ist es noch schwieriger :-/). Und ich habe dadurch viele neue Sachen kennengelernt, die ich sonst übersehen hätte. Und schön finde ich auch, meinen Nichten und Neffen tolle, von Frauen* produzierte Sachen zeigen zu können und damit vielleicht ihren Horizont zu erweitern. Also nicht nur schlecht, diese Zählerei 😉
[…] vielmehr: Es wäre ein Anfang! Denn die Gesellschaft, oder eher: die Inhaber*innen von Macht und Privilegien, sperren sich. Die […]
[…] Rollen zu zwängen versucht, ob fehlende Repräsentation in den Medien, in Talkrunden oder in Dokumentationen, oder eben jetzt in Schwangerschaftsforen und auf Seiten über Schwangerschaft und […]