Im Frühling 2014 habe ich meinen Master gemacht, wenige Monate vor meinem 25. Geburtstag. Auf meinem Abschlusszeugnis steht eine 1 vor dem Komma. Seit meinen Großeltern bin ich die erste, die einen Studienabschluss hat und die erste von uns, die einen in Deutschland gemacht hat. Für sowas wie Stolz ist weder Zeit noch Raum. Ich arbeite schon seit dem Studium selbstständig, aber kann davon nicht leben und habe deswegen das zweifelhafte Vergnügen mit dem Jobcenter. Das ist nicht mein erstes Zusammentreffen mit Hartz IV, ich bin damit aufgewachsen.
Ich habe schon vor zwei Jahren darüber geschrieben, wie es ist,
als Tochter aus einer Hartz IV-Familie aufs Gymnasium und zur Uni zu gehen
. Am Ende meines Artikels schrieb ich damals, dass bei mir die Angst, nach dem Studium in Hartz IV zu fallen, vermutlich größer ist als bei anderen.
Hartz IV traumatisiert
. Menschen haben derzeit zwar Anrecht auf Existenz, aber nicht auf lebenswerte Existenz. Welche Folgen das Aufwachsen mit zu wenig Geld und unter staatlicher Überwachung hatte, kann ich an mir selbst sehr gut sehen: Armut macht krank. Ich suche erst seit Herbst einen Job, aber habe jetzt schon schlaflose Nächte und niedergeschlagene Tage, wie sonst oft Langzeitarbeitslose.
Der Gedanke, dass an mir ein Makel klebt, verfolgt mich. Expert*innen sprechen davon, dass Armut vererbt wird – was, wenn sie recht haben? “Einmal Hartz IV – immer Hartz IV”, mit diesem Satz wird Roland Merten, Professor für Sozialpädagogik, beim Deutschlandfunk zitiert. Die Familienverhältnisse, die hier beschrieben werden, haben nichts mit meinen zu tun. Ich bin gefördert und motiviert worden wo es nur ging und sehr liebevoll aufgewachsen. Ich möchte mich hier nicht von etwas abgrenzen, ich möchte aber erwähnen, wie einseitig das dargestellte Bild von “der Unterschicht” ist. Es wird viel über “Problemfamilien” geschrieben – aber wenig über die Probleme der Familien. Stattdessen dürfen wir in der FAZ lesen, dass Spitzenverdienende mit 10.000 € brutto im Monat sich nicht als reich empfinden und unter schlaflosen Nächten leiden, weil jemand ihren Fitnessraum ausräumen könnte. In bin weder hausrat- noch unfallversichert, falls die Waschmaschine meine Küche überfluten sollte, habe ich ein ausgewachsenes Problem.
Ich habe eine Kindheit in Armut verbracht und ja, es macht mich wütend, dass es Leute gibt, die darüber weinen, nicht zu wissen, wie sie ihr Geld ausgeben sollen. Und ja, ich bin neidisch, dass andere Menschen sich nicht erst eine neue Jeans kaufen, wenn die alte ein Loch hat. Weniger Privilegienblindheit bei denen, die mehr haben als nur ein knappes Auskommen, wäre wirklich wünschenswert. Wenn ich lese, dass gerade in Armut aufwachsenden Schüler*innen pauschal Bequemlichkeit unterstellt wird, packt mich die Wut. Dass wir alles erreichen können, wenn wir uns nur anstrengen, ist eine These, die sich schon längst als Lüge entpuppt hat. Was mir und ganz sicher vielen anderen in meiner Situation fehlt, ist nicht der Wille – es sind Netzwerke, Wissen über soziale Codes und positive Erfahrungen. Diskriminierungen aufgrund von Klasse, Hautfarbe und Geschlecht nehmen viel Raum ein in meinen Kindheitserinnerungen. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht wehren kann, denn meine Erfahrungen haben keinen Wert, mein Wort hat kein Gewicht und im Zweifel sitze ich immer am kürzeren Hebel.
Ich musste schon als Schülerin in der Oberstufe regelmäßig zur Kreisverwaltung meiner Heimatstadt und nachweisen, dass es sich “lohnt”, dass ich das Abitur mache. Schwänzen und schlechte Noten waren verboten, denn dann hätte ich meine Eingliederungsvereinbarung nicht erfüllt und das Jobcenter hätte uns nahe gelegt, mich von der Schule zu nehmen. Den kleinen Durchhänger, den viele Jugendliche in dem Alter haben, konnte ich mir schlicht nicht leisten.
Mir fehlt jegliches Vertrauen in staatliche Institutionen. Bei jedem Brief, in dem meine Uni mich bloß auf den nächsten Blutspendetermin hinweisen wollte, befürchtete ich, meine Exmatrikulation in den Händen zu halten, weil das Rektorat sich nun entschieden habe, ich verdiene doch keinen Studienplatz. Wenn ich meine Steuererklärung mache, habe ich jedes Mal Angst, mir wird mein winziger Zuverdienst weggenommen, weil ich irgendeinen Paragraphen übersehen habe. Das hat zur Folge, dass ich Expertin im Verstehen und Ausfüllen jeglicher Formulare, sehr ordentlich, überorganisiert und überpünktlich bin. Was andere mir wahlweise als tolle Jobqualifikationen oder Strebsamkeit auslegen, ist in Wahrheit der tiefsitzende Druck, nicht gut genug zu sein und Fehler zu machen, die weitreichende Konsequenzen zu haben. Ich weiß, dass ich immer auf das Schlimmste vorbereitet sein muss und auf keinen Fall den Eindruck erwecken darf, ich sei faul. Während meine Mitschüler*innen beim Schulaustausch waren, habe ich Nachhilfe gegeben und das verdiente Geld in Bücher investiert. Meine Bildung war mein Kapital und die einzige Möglichkeit an noch mehr Bildung zu kommen.
Ich habe keine Ahnung, wie andere Leute berufliche Netzwerke knüpfen und wie ich mich auf Veranstaltungen verhalten soll, auf denen Leute mit Sektglas in der Hand herumstehen. Es ist mir auch peinlich, das zuzugeben. Ich hab ja nicht mal was anzuziehen für solche Anlässe. Ein Symptom des Imposter-Syndroms , unter dem besonders Frauen zu leiden haben, ist die Angst, dass andere erkennen, man selbst könne im Grunde nichts und habe sich Erfolge nur erschlichen. Wenn sich zu dieser Angst dann die Erfahrung Armut gesellt, fühlt eine*r sich schnell überall wie ein Fremdkörper. Die Selbstverständlichkeit, mit der andere ihren Teil vom Kuchen fordern, ist mir völlig fremd. Vermutlich habe ich hier am meisten Nachholbedarf, denn mir stand noch nie mehr zu als ein Minimum. Ich habe nie gelernt, mein Können als solches zu erkennen und mich zu verkaufen. Meine Vorstellungen von Luxus sind eine 10er-Karte fürs Schwimmbad und ein zweites Paar Sommerschuhe. Nicht die besten Voraussetzungen für Gehaltsverhandlungen.
Ich bleibe zurückhaltend und fordere nichts, denn die Angst, das Wenige, was ich zum Überleben habe, auch noch zu verlieren, ist groß. Wenn du arm bist, zerrinnt dir das Geld zwischen den Fingern, aber auch Menschen wenden sich von dir ab, wenn du am sozialen Geschehen nicht teilnehmen kannst. Ich habe gelernt, mich anzupassen, mit den kleinsten Mitteln dafür zu sorgen, andere meine Armut nicht spüren zu lassen, weil anderen meine Armut unangenehm ist und ich möchte nicht, dass Leute sich meinetwegen schlecht fühlen. Ich kann mich durchschlagen und auch wenn ich nicht weiß, wovon ich meinen Kühlschrank füllen soll, allen das Gefühl geben, dass alles in bester Ordnung ist und es kein Problem ist, zum Geburtstagsgeschenk der Freundin was beizutragen.
Ich bleibe cool. Ich kann nicht ständig zusammenbrechen.
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Ich will keine Kinder. Diese Erkenntnis war für mich wie ein Befreiungsschlag. Allerdings komme ich mir als kinderlose Lesbe unglaublich privilegiert vor, weil mich die typischen Benachteiligungen berufstätiger Frauen* (Doppelbelastung etc.) nicht betreffen: Keine Kinder, um die ich mich kümmern muss; kein Mann, für den ich den Haushalt machen muss und der mich in der Karriere überholt. Andererseits bin aber auch ich auf ein Leben hauptsächlich als Hausfrau und Mutter vorbereitet bzw. dahingehend erzogen worden (typisch für die Gegend und die Schicht, aus der ich stamme) – was bedeutet, dass ich viel zu spät in Sachen Karriere durchgestartet bin. Deshalb kenne auch ich das Gefühl, schon im Kindes- und Teenageralter die spätere Mutterrolle mitzudenken: frau braucht nur einen Halbtagsjob etc., weil sie sich hauptsächlich um die Familie zu kümmern hat.
Es hat mich lange Zeit bedrückt, dass ich keine Kinder haben werde (Samenspende war für mich nie eine Option), weil mir beigebracht wurde, dass das schließlich zu einem „richtigen“ Frauen*leben dazu gehört. Ich hatte immer Angst, dass ich mich selbst belüge, wenn ich mir sage, dass ich gar keine Kinder will – so eine Art Schutzbehauptung. Phasenweise hat sich bei mir dann als Abwehrhaltung eine Art Hass gegenüber Kindern und aller damit verbundenen Themen aufgebaut. Seitdem ich mit den Kindern von Freund*innen und Bekannten konfrontiert bin und diese auch hin und wieder betreue, sind mir zwei Dinge klar geworden: Ich hasse sie weniger als ich dachte – und ich will trotzdem keine.
Tugendfurie
Ich bin jetzt 25 und mein Papa hat schon vor zwei Jahren zum ersten Mal durchblicken lassen, dass er Enkelkinder gar nicht verkehrt finden würde. Ich bin in dem Alter in dem (wie
@marthadear
es letztens im Gespräch treffend formulierte) „mein Uterus am Kaffeetisch verhandelt wird“. Die Frage, ob ich Kinder möchte, ist eigentlich gar nicht komplex genug. Ich möchte Kinder. Die Fragen sind vielmehr: Wann? Wo? Wie? Mit wem?
Für mich stand eigentlich immer fest, dass ich gerne Kinder haben möchte, genauso stand aber auch fest, dass ich ein Studium und einen Beruf will, der mich erfüllt. Derzeit bin ich an einem Umbruchspunkt in meinem Leben: Ich bin seit zwei Monaten mit dem Studium fertig und vor drei Wochen ans andere Ende Deutschlands gezogen, um hier einen Job zu finden.
Für mich sind gerade ganz grundlegende Fragen relevant: Wo werde ich in drei Monaten wohnen? Wovon soll ich leben? Finde ich einen Job, der mich ernähren kann? Ich denke über meine berufliche Zukunft nach, aber auch über mein Privatleben. Dazu kommt, dass ich derzeit sehr viel an Projekten beteiligt bin, politisch Dinge bewege und das alles auch weiter tun möchte.
Meine Freund*innen sind teilweise schon lange Mütter oder gerade schwanger, ich bin sehr stolze Patentante. Kinder spielen in meinem Leben eine Rolle und ich würde mir wünschen, dass auch eigene einen Platz finden. So einfach ist das aber eben nicht.
Für 2014 habe ich mit Freundinnen erstmal einen „Nicht-schwanger-werden-Pakt“ geschlossen und mir eine „Pille danach“ aus dem Ausland mitbringen lassen
Weird
Für mich war es früher immer klar, dass ich Kinder haben werde, das stand quasi gar nicht zur Debatte. Ich habe erst in den Mittzwanzigern angefangen, überhaupt bewusst darüber nachzudenken und zu prüfen, wieviel davon eigener Wunsch ist und wieviel gesellschaftliche Norm. Dabei kam für mich heraus, dass es kein Herzenswunsch ist, dass ich es mir aber durchaus vorstellen kann – „später“. Inzwischen bin ich 34 und kann mir vage vorstellen, innerhalb der nächsten Jahre vielleicht ein Kind zu haben. Aber mich verstört der Gedanke daran, ein Kind auf die Welt zu bringen – und ein Kind zu stillen. Das wurde mir erst so richtig klar, als ich vor etwa einem Jahr einen Artikel einer Redakteurin las (den ich leider nicht wiedergefunden habe), die sich gegen das Stillen entschieden hat. Plötzlich machte sich eine Erleichterung in mir breit. Aber der Gedanke an das Austragen und zur Welt bringen erfüllt mich weiterhin mit Unbehagen bis Schrecken. Dazu kommen die üblichen Schwierigkeiten, Familie und Beruf zu vereinbaren. Ich habe lange studiert, bin dafür schon relativ alt und habe beruflich bisher nicht Fuß gefasst, das ist nicht der beste Zeitpunkt. Das Thema beschäftigt mich immer mal wieder und ich schwanke derzeit zwischen „och ja, warum auch nicht?“ und „OMG, niemals!“.
TQ
Als ich klein war, hasste ich Kinder. Mich selbst nicht, ich fühlte mich ja schon richtig erwachsen. Eigentlich immer, zumindest im Vergleich zu meinen zwei jüngeren Brüdern. Ich wollte nie am Kindertisch sitzen, nie mit Jüngeren spielen.
Später änderte sich meine Einstellung zu Kindern. Kinder waren das, was man bekam, wenn man beim Sex nicht verhütete. Kinder waren ein Zeugnis dafür, dass einer ihr eigenes Leben nicht wichtig genug war, weil sie ihr Leben, ihre Karriere für ihre Kinder „aufgab“. Männer betraf das höchstens indirekt, was mir ungerecht vorkam und mich wütend machte. Die Politik tat in den vergangenen zehn Jahren für Frauen meiner Lebensrealität weniger als
nichts
, um Beruf und Kinder vereinbar zu machen, und so blieben Kinder für mich – ein Makel.
Inzwischen bin ich 34. Ich müsste so langsam an Kinder denken, wie auch meine (Schwieger)Mütter mich wissen lassen, ich fühle mich aber mit dem Gedanken sehr alleine gelassen. Und doch wächst die Wut auf die, die mir diktieren wollen, ob und unter welchen Voraussetzungen ich Kind und Karriere gemeinsam verwirklichen kann. Ich bin kurz vor: „Ihr* könnt mich mal! Da, jetzt bin ich schwanger!“
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Vor drei Wochen erwähnte ich auf Twitter nebenbei, dass ich es geschafft habe, meine Prokrastination zu überwinden. Einige fragten daraufhin, wie ich das denn geschafft hätte, und weil das Thema zu komplex ist für 140 Zeichen, versprach ich leichtfertig einen Blogbeitrag.
Heute, drei Wochen später, sitze ich wieder an dem Artikel, der nicht so recht fertig werden will. Allerdings nicht, weil ich prokrastiniert hätte, zumindest nicht zu sehr. Ich habe unterschätzt, wie viel Introspektion nötig sein würde, wie viele Themen ich anreißen müsste, um meinen Weg in die Prokrastination und wieder hinaus halbwegs verständlich nachzuzeichnen.
Ich begann zu prokrastinieren, als ich zur Jahrtausendwende mein erstes Studium aufnahm. Ich studierte Design, und um mich herum erzählten, nein, schwärmten meine Mitstudis von langen Abenden vor dem Rechner, dass die Inspiration immer noch nicht gekommen sei, und vom Wahnsinn der letzten Nacht vor der Abgabe eines Projekts. Kurz: vom wilden Designer*innenleben. Das Wort „Prokrastination“ war zwar noch nicht im allgemeinen deutschen Wortschatz vorhanden , in meinem Leben aber kam sie gut an. Dass ich schon vorher der absurden Vorstellung anhing, dass Kreativität von allein kommen muss (dazu später mehr), spielte ihr ebenso in die Hände wie mein schwaches Selbstwertgefühl und meine Angst vor der Bewertung durch andere.
Ich drückte mich also, was das Zeug hielt. Zuerst nur dabei, Studienarbeiten abzugeben, mit der Zeit übernahm mein aufschiebendes Verhalten jedoch auch in anderen Lebensbereichen (Ämter, anyone?).
Dabei stillte die Prokrastination ganz grundlegende persönliche Bedürfnisse: Ich konnte gleichzeitig sowohl genial als auch rebellisch wirken! „Schaut, wie egal mir eure kleinlichen Fristen und Termine sind!“ und „Schaut, wie schnell ich das hinbekomme, was andere in wochenlanger Arbeit machen!“ passten plötzlich prima zusammen.
Der vor allem (aber nicht nur) in künstlerischen Berufen vorherrschende Genius-Kult schlug in die gleiche Kerbe. Die Mär von dem Genie, das sich tagelang, wochenlang herumquält, alle möglichen Dinge tut, um dann, schlussendlich, von der Inspiration geküsst zu werden, war ein fest verankertes Bild in meinem Kopf. Ich war der Überzeugung, dass Kreativität einfach so kommen müsse, dass man nichts tun könnte, um sie zu locken. (Dass das keineswegs wahr ist, lernte ich erst Jahre später.)
Besonders tückisch für mich erwies sich auch der Adrenalinrausch der letzten Stunden. Ich stellte fest, dass ich eigentlich gerne (für kurze Zeit) unter Druck arbeite. Ich begann, den Kick, den mir die letzten Stunden vor einem Abgabetermin gaben, zu lieben und mich auf seine antreibende Kraft zu verlassen.
Ängste sind ein wichtiges Puzzlestück bei der Aufrechterhaltung von Aufschiebeverhalten. Diese Ängste sind vermutlich für jede Person, die prokrastiniert, andere. Sie sind individuell verschieden, lassen sich aber in Gruppen zusammenfassen:
Ich hatte eine diffuse Angst davor, was passieren würde, wenn ich nicht mehr „die Beste“ oder „die Schlaueste“ wäre. Dazu muss ich erklären, dass diese (irrealen) Eigenschaften in meinem Selbstkonzept sehr wichtig waren. Seit ich klein war, wurde mir eingetrichtert, dass ich nur etwas wert bin, wenn ich nicht nur gut, sondern die Beste bin. Was im little Pond Schule noch grundsätzlich möglich war, wurde zunehmend schwerer. Spätestens an der Uni musste ich einsehen: Die Beste auf meinem Gebiet war ich nicht. (Auf die grundsätzliche Schwierigkeit der Aussage wegen ihres Fokus’ auf eine spezielle Form der Leistungserbringung gehe ich in diesem Rahmen nicht weiter ein, sie ist mir aber inzwischen glücklicherweise bewusst.)
Aber zum Glück hatte ich meine Prokrastination, Selbstwertretter in der Not. Denn sie schenkte mir einen fantastischen Trick: Sie änderte den Bezugsrahmen. Ich hatte durch die Prokrastination ja weniger Zeit als die anderen. Meine Leistung war also nicht mehr vergleichbar! In der Motivationspsychologie nennt man das „Nicht-Diagnostizität“: Eine Aufgabe erlaubt aus inneren oder äußeren Gründen nicht, eine Aussage („Diagnose“) über Fähigkeiten oder Wissen zu treffen. Dadurch wird sie weniger bedrohlich. Denn wenn ich in einer Aufgabe nicht gut abschneide, sie aber nicht mehr diagnostisch ist, dann sagt das nichts mehr über mich aus. (Dass planerische Fähigkeiten auch wichtig sind, sei an dieser Stelle erwähnt. Diese Fähigkeit wird aber typischerweise von prokrastinierenden Menschen als weniger relevant abgewertet.)
Es war einmal das Märchen vom richtigen Moment. Das Märchen erzählte davon, dass alles eine Zeit und einen Ort habe. Die Umstände müssten perfekt sein, um ein perfektes Ergebnis zu erzeugen. Es wäre Kraftverschwendung, den Anfang erzwingen zu wollen. Lieber noch warten, bis die Umstände es erlauben, effizient zu arbeiten.
Mit diesem Märchen lebt es sich eine Weile sehr bequem, aber sicher nicht glücklich bis ans Ende aller Tage. Denn Fakt ist: Die Umstände werden nie perfekt sein. Nicht, um ein Buch zu schreiben, nicht für die Hausarbeit, und schon gar nicht für mehr Sport. Dieses diffuse Gefühl von „nicht der richtige Zeitpunkt“ ist nichts weiter als eine angenehme Illusion. Das wird klar, wenn man sich mal überlegt, welche Umstände denn die richtigen sein sollten. Wenn das Wetter besser wird: Wie gut darf’s denn werden, bevor es wieder nicht gut genug wird? Wenn wieder mehr Zeit ist: Liegt dieser Zeitpunkt denn realistischerweise in den nächsten fünf Jahren? Wenn man die richtige Idee hat: Wie sehr wird diese Idee denn gerade gesucht, gelockt, erarbeitet? Nur eines ist sicher, wenn man auf den richtigen Moment wartet: auf jede Ausrede folgt eine neue Ausrede.
Pures Gift ist meiner Erfahrung nach, sich mit Freund*innen und Bekannten über Prokrastination zu unterhalten, insbesondere im Internet. Damit meine ich nicht den Austausch von Erfahrungen im Kampf gegen die Prokrastination, sondern das gemeinsame abslacken.
Meiner Erfahrung nach läuft ein typisches Gespräch über Prokrastination im Web so:
„Uh, ich müsste eigentlich an der Hausarbeit schreiben, prokrastinier’ aber grad…“
„Hey, ich auch! Hier guck, tolles TED-Video/Tumblr-Blog/Rage-Artikel!“
Soziales Feedback ist ein mächtiger Verstärker, und er funktioniert in jede Richtung. Wird er genutzt, um gemeinsam die Erfahrung zu teilen, ohne etwas dagegen zu unternehmen, kann das dazu führen, dass die Prokrastination eine*n auf lange Sicht fest in der Umklammerung behält.
Und besonders gemein am Internet ist: Es ist immer jemand da, der*die auch gerade prokrastiniert.
Du willst deine Aufschieberitis hinter dir lassen? Glückwunsch! Guter Entschluss. Einen kleinen Haken gibt es aber: Du musst es wirklich, wirklich wollen. Denn das Tückische an der Prokrastination ist, dass sie so viele bequeme Sicherheiten bietet, von denen man sich somit ebenfalls verabschieden muss. Nicht mehr aufzuschieben macht eine*n zunächst verletzlich. Es macht angreifbar, und es entzaubert das eigene Schaffen, auch in den Augen anderer. Das ist eine Sache, mit der man erst mal klarkommen muss.
Für mich gab es zwei große Arbeitsbereiche, um aus der Prokrastination zu finden: innen und außen.
Ich sage es gleich: Sich den eigenen Ängsten zu stellen macht wenig Spaß, es dauert lange und tut oft weh. Wer gesteht sich schon gerne selbst ein, dass man sich eigentlich für nicht liebenswert hält oder für nicht gut genug? So lange man die Prokrastination als Krücke hat, muss man nicht gehen lernen, muss man sich seinen Ängsten nicht stellen. Aber wir wollen ja richtig laufen lernen, und da hilft eben nur, sich den Ängsten zu stellen.
Meine größte Angst im Zusammenhang mit der Prokrastination war, dass ich nicht gut genug, nicht klug genug wäre, und dass mich Menschen nur so lange mögen würden, so lange sie mich für gut genug oder klug genug hielten. Meine Angst, zu versagen, war also sehr eng verknüpft mit meiner Angst, allein zu sein. Als mir dieser Zusammenhang nach vielem Grübeln klar wurde, war ich erleichtert: Ich war meine Ängste zwar noch nicht los, aber immerhin wusste ich jetzt, was genau sie waren. Ich wusste, woran ich arbeiten musste.
Im Zusammenhang mit Prokrastination brachte mir die Auseinandersetzung mit meinen Ängsten eine Menge: Ich vermied diagnostische Aufgaben nicht mehr und weiß daher inzwischen recht genau, was ich kann und was ich nicht kann. Und ironischerweise befähigt mich das, mehr zu schaffen, weil ich jetzt weiß, wie ich an eine Aufgabe herangehen muss, um sie für mich bewältigbar zu machen , selbst wenn sie das von meiner Grundaufstellung her nicht wäre.
Ich arbeite bis heute daran, mich auf der einen Seite selbst anzunehmen, auch wenn ich mal nicht perfekt bin, und auf der anderen Seite, überhaupt wahrzunehmen, wenn ich einmal etwas gut gemacht habe. Was mich zum nächsten Punkt bringt:
Einige Leser*innen (mehrheitlich männlichen Geschlechts) werden mit diesem Abschnitt nichts anfangen können. Für einige (mehrheitlich weiblichen Geschlechts) wird er ein Augenöffner sein.
Mir wurde auf halbem Weg aus der Prokrastination hinaus klar, dass es zwar schön und gut ist, wenn die Menschen um mich herum mich auch schätzen, wenn ich nicht die Beste, die Tollste, die perfekte f*cking Queen of Everything bin. Aber ich hatte gleichzeitig große Schwierigkeiten damit, meine Erfolge anzunehmen, gleich, in welcher Art sie kamen. Bestandene Klausuren waren „Glück“, bei guten Referate hatten „die anderen mehr gemacht als ich“, ein wissenschaftliches Gutachten, das meine Qualifikation lobte war „eine Ausnahme“. Komplimente jeder Art wertete ich ab als „liebe Worte von Menschen, die mich nur nicht verletzen wollen“.
Ich war damit nicht alleine: Viele Frauen (und einige Männer) teilen meine Probleme mit der Internalisierung von Erfolg. Eigentlich immer, w enn ich in der Vergangenheit davon gesprochen habe, dass ich mit Lob und Erfolg nicht gut umgehe und damit jetzt anders umgehen lerne, konnten Frauen von ähnlichen Erfahrungen mit ihren eigenen Gedanken berichten. Nur wenige der Frauen, die ich kenne, sind in der Lage, überhaupt ein Kompliment oder ein Lob ohne Abwertung anzunehmen. Die seltenen Ausnahmen, die ich kenne, sind oft ganz besonderes starke Persönlichkeiten. Eine interessante Übung zum selber Testen: Frag ein paar Frauen und ein paar Männer, was für Gedanken ihnen durch den Kopf gehen, wenn sie gebeten werden, einen Vortrag zu halten (Hint: Frauen werden mehrheitlich ihre Kompetenz in Frage stellen und daran zweifeln, die richtige für den Job zu sein). Und dann, was sie denken, wenn sie positives Feedback zu dem Vortrag bekommen (Hint: Frauen werden mehrheitlich denken, dass es die Person nur nett meint).
Schlimmstenfalls kann so eine ständige Lobabwehr dazu führen, dass der eigene Erfolg als von der eigenen Person abgetrennt wahrgenommen wird und man den Eindruck hat, den Erfolg nur vorzutäuschen . Für mich war daher ein sehr wichtiger Faktor der Aufbau einer stabilen Selbsteinschätzung und damit auch, meinen eigenen Erfolg anzunehmen und zu internalisieren. Und ironischerweise hat das Annehmen von Erfolg zuerst keinen Spaß gemacht, nicht den geringsten. Ich habe mich schrecklich gefühlt, anmaßend und aufgeblasen. Vermutlich war das zu erwarten, immerhin hatte ich mein gesamtes Leben vorher daran gearbeitet, mich unerfolgreich, bescheiden und klein zu fühlen. Mit der Zeit ließen diese Gefühle glücklicherweise nach, und inzwischen kann ich mit Lob verhältnismäßig gut umgehen.
Im Hinblick auf meine Prokrastination hat das ziemlich viel verändert. Dadurch, dass ich Erfolge besser annehme, ist mein Selbstbewusstsein stärker geworden. Ich habe mehr Kraft, ruhe mehr in mir. Ich kann mit Kritik besser umgehen, weil ich sie auf die Sache beziehe und nicht mehr auf mich als Person. Das alles gräbt meiner Prokrastination das Wasser ab.
Feiere! Deine! Erfolge!
Dieser Punkt ergänzt den letzten um einen wichtigen Aspekt: soziale Anerkennung. Es ist ja schön und gut, wenn ich weiß, dass ich klug bin. Aber ganz allein auf meiner Erfolgsscholle sitzend ist das Leben auch nicht besser. Daher ist der nächste wichtige Schritt, die Erfolge mit anderen Menschen zu teilen und zu feiern.
Das heißt, dass auch kleine Schritte zelebriert werden dürfen, wie schwierige Anrufe oder belastende Gespräche. Ich nutze hierfür immer noch gerne Twitter: Anstatt immer wieder „Ich prokrastiniere, lalala“ sozial verstärken zu lassen, setze ich nach schwierigen Etappen lieber einen „Ich! Bin! So gut!“-Post ab – und bekomme dafür soziale Verstärkung.
Der Kanal ist dabei Nebensache. Ob online über soziale Plattformen oder offline im Kreis von Freund*innen, wichtig ist nur, dass dem Erfolg ein Platz im Leben gegeben wird. So werden auch kleine Schritte zu Verstärkern, die mit der Zeit helfen, positive Feedbackschleifen aufzubauen und die Anstrengung mit dem Erreichen von Zielen zu verknüpfen.
Hilfsmittel auf dem Weg aus der Prokrastination sind wichtig. Sie sind die Grashalme, an denen man sich festhalten kann, wenn gerade wieder mal die Motivation wegbricht oder es sich anfühlt, als würde die Welt nur aus blöden Aufgaben bestehen (und man dann lieber gar nicht erst anfängt). Diese Hilfsmittel kommen für mich in zwei Geschmacksrichtungen: Diverse Old-School-Tricks und modernes Zeug wie Gamification.
Gerade am Anfang ist es meiner Erfahrung nach schwer, sich aus den Klauen der Prokrastination zu befreien. Für mich hat sehr gut funktioniert, mir täglich kleine Ziele zu setzen, die ich auch wirklich erreichen kann. Gerade, als ich noch frisch dabei war, fühlte ich mich sehr verletzlich und ungeschützt, und es half mir, zu wissen, dass ich jeden Tag nur eine Seite schreiben oder nur eine Stunde an der Abschlussarbeit sitzen musste – was immer zuerst kam, war mein Ziel. Danach arbeitete ich nur weiter, wenn ich wirklich, wirklich wollte.
Wichtig war in dieser Phase, dass ich lernte, regelmäßig zu arbeiten. Das regelmäßige Arbeiten half mir, eine Routine aufzubauen und so immer weniger darüber nachzudenken ob ich überhaupt arbeite.
Große Aufgaben wie Abschlussarbeiten sind die Nemesis jedes Menschen, der*die mit Prokrastination zu kämpfen hat. Das liegt an der Arbeitsanweisung, die eine*n erst einmal vor einen fetten Klops Arbeit setzt, den man am Stück niemals bewältigen kann.
Der Trick liegt logischerweise darin, den unhandlichen Klops in viele kleine Teile zu zerstückeln. Das muss am Anfang gar nicht perfekt oder vollständig geschehen: Alles, was es braucht, sind Arbeitsaufträge, die im Zeitraum eines Arbeitstages oder weniger schaffbar sind. Das könnte in unserem Beispiel sein: Schreibe eine Gliederung für die Arbeit! Es ist egal, ob die Gliederung in der Form bis zum Ende der Arbeit überlebt. Hauptsache, es ist etwas mehr Struktur vorhanden, an der man sich festhalten kann.
Je weiter ausdifferenziert wird, desto unterschiedlicher werden auch die Aufgaben. Und das ist wichtig: Nicht immer ist man fit genug, eine schwierige Aufgabe anzugehen. Dann ist es gut, wenn auch nerviges Kleinzeug auf der To-Do-Liste steht, das sich ohne Hirn erledigen lässt.
Wenn das Arbeiten schwer fällt, helfen Rituale dabei, Routinen aufzubauen, also auch produktives Arbeiten. Rituale können dabei sehr verschiedene Formen annehmen: Ein besonderer Arbeitsplatz kann ebenso helfen, in die richtige Stimmung zu kommen, wie ein Tee, Kaffee oder eine bestimmte Art von Musik. Alles ist erlaubt, was in eine positive Anpack-Stimmung versetzt.
Gamification
ist der neue heiße Apfelkuchen. Gamification verwandelt alles mögliche alltägliche Dröge in ein Spiel. Also auch die Arbeit, Sportprogramme oder die Hausarbeit.
Aber Achtung: Gamification alleine löst keine Probleme. Wenn man nicht gewillt ist, auch an der Wurzel des Problems anzupacken, ist alle Gamification nur Kosmetik und letzten Endes zum Scheitern verurteilt. Unterstützend aber bin ich Gadget-Geek erwartbarerweise auch großer Fan von Methoden, die Technik nutzen, um die Motivation hier und da zu pushen.
Lifehacker hat eine ausführliche Übersicht über alle möglichen Arten und Anbieter auf verschiedensten Plattformen, aber zwei Methoden möchte ich noch näher beleuchten: Die Arbeit mit HabitRPG und mit Unterstützung durch Twitter.
HabitRPG ist eine Gamification-Plattform, die alles von täglich wiederkehrenden Aufgaben über aufzubauende Gewohnheiten bis hin zu abzuarbeitenden To-Dos alles integriert. Dabei lässt sich die Plattform für sehr viele Bereiche einsetzen, und auch, wenn spezialisierte Angebote wie Chore Wars für die Hausarbeit oder SuperBetter für Langzeitprojekte gut aufgestellt sind, ist HabitRPG als Allrounder eine solide Kiste.
HabitRPG macht viel richtig und wenig falsch. Die Plattform arbeitet damit, die positiven und negativen Folgen unter die Nase zu reiben: Mache ich meinen Krempel, sammle ich Erfahrung, finde tolle Dinge und steige schließlich auf. Mach ich meinen Krempel nicht, nehme ich Schaden, sterbe am Ende und verliere mein schönes gesammeltes Zeug. Und dadurch, dass mir direkt vor Augen geführt wird, dass etwas auf dem Spiel steht (in diesem Fall ein Surrogat für reale Dinge), werden Konsequenzen greifbarer. Natürlich liegt hier auch eine gewisse Gefahr, die Belohnungen vollständig in der Spielwelt zu verorten und so auf lange Sicht Motivation sogar abzubauen (der sozialpsychologische Korrumpierungseffekt greift hier). Daher ist es wichtig, das große Ziel im Auge zu behalten und die gamifizierte Welt immer wieder mit der realen abzugleichen.
Ein bisschen Old-School ist es schon. Sich auf Twitter zusammenzurotten und gemeinsam zu Dingen zu verabreden erfordert keinen besonderen technischen Schnickschnack und keinen Avatar. Man bekommt keine virtuellen Münzen, sammelt keine Tiere und steigt keine Level auf. Aber die soziale Gruppe kann ein mächtiger Motivator sein.
Aktuell bin ich Teil der Gruppe, die unter dem Hashtag #50TageYoga versucht, 50 Tage lang täglich ein wenig Yoga zu machen, um so die Yogapraxis in den Alltag aufzunehmen. Ich habe in Tweetdeck dazu eine Suchspalte nach dem Hashtag offen, so dass ich direkt sehe, wenn eine*r etwas in unserer losen Gruppe schreibt. Es ist toll, von anderen zu lesen. Wie sie so klarkommen. Wo sie Probleme haben. Welche Programme sie verwenden. Welche Resultate sie erzielen.
Es ist schön, Teil einer Gruppe zu sein und gemeinsam auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. Es gibt Mut, zu sehen, dass andere auch Schwierigkeiten haben, aber trotzdem weitermachen.
Prokrastination ist heilbar. Leider gibt es kein Wundermittel. Reinkommen ist einfach, rauskommen harte Arbeit und klappt nur mit ehrlicher Introspektion und langem Atem. Hilfsmittel helfen, können eine*n aber nicht den ganzen Weg bis ins Ziel tragen.
Wert ist es die Anstrengung allemal.
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Auf einer solchen Grabung war ich also, es war ein sehr, sehr heißer Sommernachmittag und wir alle waren aufgrund der Hitze ziemlich am Ende. Ich hatte meine eigene Grube abseits von den anderen und sah von Weitem eine Besuchsdelegation vom Denkmalamt anrücken. Einer der älteren Herren fand seinen Weg zu mir. Er duzte mich und fragte nach meinem Namen, was ich bereits seltsam fand, aber da der Umgang im Denkmalamt insgesamt locker und familiär ist, blieb ich nett und höflich. Und dann plötzlich die Frage
„Ist das nicht anstrengend, so als Frau?“
Ich war erstmal sprachlos. Und fassungslos. Und wütend. Und fühlte mich hilflos, weil ich vor lauter Ungläubigkeit keine knackige Antwort parat hatte.
Ja, es ist anstrengend. Weil ich nicht einfach in Ruhe arbeiten kann. Weil meine Fähigkeit, zu schaufeln, Dinge zu tragen und eine Schubkarre zu fahren an meinem Geschlecht gemessen und mir abgesprochen oder zumindest angezweifelt wird. Weil ich beharrlich darauf bestehen muss, den Job zu machen, für den ich eingestellt wurde. Weil ich oft genug auch bei extremer Hitze das Mehrfache leiste, damit niemand auf die Idee kommt, ich sei zu schwach. Weil ich verhasste Arbeiten (Schubkarre fahren z.B.) nicht abgeben kann, ohne abzuwägen, ob das auf mein Geschlecht und eine vermeintliche daraus resultierende Unfähigkeit zurück geführt wird. Weil ich oft genug das Gefühl habe, nicht bei der Arbeit zu sein, sondern ständig darauf vorbereitet sein muss, an einer Front zu kämpfen, die sich plötzlich aus dem Nichts auftut. Weil immer wieder Kommentare wie der oben genannte kommen.
Je nach Mitarbeitern [sic] ist es mal mehr und mal weniger anstrengend. Mit einer normalen Grabungsbelegschaft aus Denkmalamtleuten und fortgeschrittenen Studierenden konnte ich bisher meistens ungehindert meiner Arbeit nachgehen. Aufgaben wurden sinnvoll und fair verteilt und jede*r musste bzw. durfte alles einmal machen. Sobald aber Grabungsanfänger und Grabungshelfer (Freiwillige – meist ältere Männer – oder Ein-Euro-Jobber) dabei waren, ging regelrecht der Kampf los. Meine Fähigkeit für Aufgaben, die ich bereits wochenlang durchgeführt hatte, wurde in Frage gestellt, mir wurden wohlmeinend schwere Arbeiten abgenommen oder sogar verwehrt, Kommentare wie „Das ist doch viel zu schwer für dich“ waren kein Einzelfall. Ich musste darum kämpfen, meine Arbeit durchführen zu können, mir den Mund fusselig reden, immer wieder (durch extra volle Schubkarren und erhöhtes Arbeitstempo trotz praller Sonne) beweisen, dass ich sehr wohl in der Lage bin, meinen Job zu machen. Und immer wieder pauschalisierende Kommentare über Männer und Frauen anhören, die Zähne zusammenbeißen und hoffen, dass sie es irgendwann kapieren.
Das alles ist unheimlich frustrierend und kraftraubend. Und auf Dauer durch die zusätzliche Arbeitslast und die Notwendigkeit zur ständigen Kampfbereitschaft zermürbend.
Ja, es ist anstrengend, so als Frau. Aber nicht, weil ich biologisch eine Frau bin. Sondern, weil mich Zuweisungen und Stereotype hemmen, behindern, nerven – und am Ende die Arbeit für alle erschweren.
Ja, es ist schwer, so als Frau. Nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich zu einer Frau* gemacht werde.
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