Immer wieder höre ich in Diskussionen irgendwo im Gebiet Feminismus das Argument: “Das ist doch nicht natürlich!” Oder, in der die eigene Argumentationslinie stützenden Variante: “Das ist eben natürlich!” Gerade neulich bin ich dem Argument wieder begegnet, als es ums Stillen ging: Stillen, ja, das ist natürlich! Und damit gut. Und Flaschennahrung ist unnatürlich. Und somit schlecht.
Interessant ist es schon, dieses Argument der Natürlichkeit. Denn wir als menschliche Spezies sind eigentlich nicht unbedingt für unsere Nähe zur Natur bekannt, eher das Gegenteil ist der Fall: Wir grenzen uns gerade durch unsere zivilisatorischen Errungenschaften von der Tierwelt ab.
Aber lassen wir das Argument zu: Natürlichkeit ist Unnatürlichkeit vorzuziehen. Wenn wir diesen Schritt machen, müssen wir allerdings auch betrachten, welche anderen Bereiche von unnatürlichen Veränderungen berührt sind.
Beginnen wir mit den vergleichsweise modernen Erfolgen unserer Zivilisation: Wir müssten ein Leben ohne Strom führen, ohne fließendes Wasser und ohne moderne Medizin. Antibiotika zählen dazu ebenso wie
moderne Operationen
, von Zahnersatz über die Entfernung der Galle bis hin zum Kaiserschnitt. Und wenn wir schon dabei sind: Zahnpflege generell ist ebenfalls eine
vergleichsweise neumodische Erfindung
, die wir keinesfalls als natürlich einordnen können.
Selbstverständlich müssten wir auch unsere Ernährung natürlicher gestalten. Ich spreche hier nicht von dieser Paläo-Diät, die sich gern an eingeflogenen exotischen Früchten (Avocados, anyone?), durch Kreuzung und Selektion optimiertem Gemüse oder gar Fleisch bedient. Nein, ich spreche davon, was jeder von uns als einzelner Mensch, ganz ohne unnatürliche Zivilisation, Ackerbau oder Jagdgemeinschaft an lokal vorhandenen Dingen essen kann. Da bleibt nicht viel übrig. Nicht umsonst betrug die
durchschnittliche Lebenserwartung im Paläolithikum magere 33 Jahre
, bevor sie vermutlich dank von Vieh übertragenen Krankheiten, Mord und Totschlag nach der
neolithischen Revolution
auf nur noch 20 Jahre sank.
Und dabei lebte der Mensch im Neolithikum bereits keineswegs mehr ganz natürlich. Schon hier existierten zivilisatorische Strukturen, Werkzeuge, ach, und unnatürliche Sprache.
Teufelszeug.
Auch in Sachen sexueller Identität und Orientierung erfreut sich das Natürlichkeitsargument großer Beliebtheit: Genau eine Paarung wird als “natürlich” proklamiert, die monogame Verbindung zwischen einem Cis-Mann und einer Cis-Frau. Aber wie natürlich ist diese Natürlichkeit, wenn wir einmal genauer hinschauen? Es gibt massenhafte Belege für Homo- und Bisexualität bei Tieren, so dass ich an dieser Stelle auf
einige
Überblicksartikel
zu dem Thema
verweisen
möchte. Laut Wikipedia ist Homosexualität bei rund 1500 Tierarten nachgewiesen. Und was ist natürlicher, als das natürliche Verhalten natürlicher Tiere in der Natur?
Und auch unsere traditionellen Geschlechterrollen, die einige Menschen bereitwillig als natürlich voraussetzen, wackeln stark. Denn bei genauer Betrachtung schält sich heraus, dass die
historische Zuweisung von Menschen zu Geschlechterrollen an sich nicht so simpel ist
, wie manche Historiker*innen und Archäolog*innen das in der Vergangenheit gern dargestellt haben.
Ein anderer Argumentationszweig befasst sich mit der Natürlichkeit von Sex zum Zweck der Fortpflanzung. Natürlich ist demnach, was Kinder zeugen kann.
Interessanterweise höre ich dieses Argument oft von sexuell aktiven Heterosexuellen, bei denen ich davon ausgehe, dass ihre Kinderlosigkeit bewusst herbeigeführt ist, sprich: auf unnatürlichen Verhütungsmitteln basiert. Sex, der allein dem Spaß dient statt unserer Fortpflanzung, ist in logischer Konsequenz dieses Arguments unnatürlich. Genau wie Partner*innenschaften von Menschen, die keine Kinder zeugen können. Heißt das, dass unfruchtbare Menschen nur unnatürlichen Sex haben können? Und dürfen sie Sex haben, wenn er doch keine Kinder hervorbringen kann?
Und wie sieht es bei
Sex im Alter
aus, kann der noch als natürlich gelten, wenn aus dem Geschlechtsakt keine Kinder entspringen können?
Wenn wir hier noch einen Schritt weiter denken, stoßen wir auf die nächste Frage: Wie natürlich kann unsere binäre Geschlechtszuweisung überhaupt sein, wenn es eine Vielzahl von chromosomalen, gonadalen, hormonellen oder anatomischen Merkmalen gibt, entlang derer wir Geschlecht erst definieren müssen? Wie viele Geschlechter bekommen wir, wenn wir auch nur einige dieser Faktoren durchvariieren ? Erweitern wir dies noch um den ethnologischen Blick auf Kulturen , die selbstverständlich mehr als zwei Geschlechter kennen oder andere Zuordnungen zu Geschlechtern leben, stellt sich schnell die Frage, ob wir durch die Masse der heteronormativen, binärgeschlechtlichen Darstellung in unserem Kulturkreis zwangsläufig von Natürlichkeit sprechen dürfen.
Was bleibt also übrig von der heraufbeschworenen Natürlichkeit? Wenn wir konsequent sind: Nichts. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen, die “natürliche Geschlechterrollen”, “natürliche Sexualität” oder “natürliche Babyernährung” fordern, Natürlichkeit in der letzten Konsequenz wollen würden.
Womit das Argument beliebig wird: Wenn jede*r frei definieren kann, was natürlich ist und was nicht, haben wir es nicht mehr mit einem Argument zu tun, sondern bestenfalls mit einer polemischen Floskel, die dann verwendet wird, wenn gerade ein Totschlagargument fehlt.
Ich für meinen Teil lasse mein Verhalten nicht in den Kategorien “natürlich vs. unnatürlich” bewerten. Ihr seht ja, wo das hinführt!
tl;dr: Bei “Natürlichkeit” handelt es sich um ein Pseudoargument, das die Nutzenden so verwenden, wie es ihnen in den Kram passt. Es ist ungültig.
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Ob es sich bei diesen Gräbern wirklich um die durch Erzählungen antiker Autoren überlieferten Amazonen handelt, lässt sich nicht vollständig klären. Aber es gibt verschiedene schriftliche Überlieferungen, mit denen archäologische Funde der entsprechenden Regionen in Verbindung gebracht werden können. Mir kommt es in diesem Artikel aber gar nicht darauf an, ob es sich hier tatsächlich um „Amazonen“ handelt und ob sich die Gräber in einen mythischen oder historischen Zusammenhang bringen lassen. Deswegen möchte ich die Hinweise darauf hier auch gar nicht weiter aufdröseln und verwende den Begriff in Anführungszeichen als Kennzeichen dafür, dass es sich bereits um eine Interpretation handelt. Worum es mir vorrangig geht, ist die Tatsache, dass sich Frauenbestattungen mit Waffenbeigaben nachweisen lassen. Im zweiten Teil dieser Reihe hatte ich einen der zentralen Zirkelschlüsse in der Archäologie behandelt, der es stark erschwert, Kriegerinnen zu erkennen.
Zu den für die skythische Kultur typischen Grabbeigaben gehören Gegenstände oder Kombinationen von Gegenständen, die in der archäologischen Forschung als geschlechtsspezifisch gelten: Für Frauenbestattungen werden Spiegel, Spinnwirtel, Schminke und paarweise beigegebene Ohrringe als typisch angesehen, für Männerbestattungen Waffen, einzeln beigegebene Ohrringe und das Fehlen von Spinnwirteln.
Leider ist nur selten klar, unter welchen Umständen die Grundlagen für diese Zuordnungen gemacht wurden. Da anthropologische Untersuchungen erst so spät unternommen wurden, dass zuvor archäologisch bestimmte Bestattungen im Nachhinein umbestimmt werden mussten, ist es wahrscheinlich, dass allen usprünglichen Untersuchungen zu den Beigaben die archäologische Geschlechtsbestimmung zugrunde lag (was ich im vorigen Artikel bereits beschrieben hatte). Und da die archäologische Geschlechtsbestimmung den Zirkelschluss (Mann = Schwert = Mann) beinhaltet, ist nicht klar, ob die Beigaben, die in der Forschung als Indiz für entweder weibliche oder männliche Bestattete gelten, tatsächlich als Indiz gewertet werden sollten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um eine Projektion von Erwartungen und Vorstellungen der Forschenden auf eine vergangene Kultur handelt. Es ist außerdem grundlegend fraglich, ob die Unterschiede in den Grabbeigaben überhaupt einen Zusammenhang mit dem Geschlecht haben, also tatsächlich auf Geschlechterunterschiede bzw. verschiedene Geschlechteridentitäten zurückzuführen sind oder ob die Verteilung andere Gründe hat.
Interessant sind die sogenannten Mischinventare, in denen sowohl Gegenstände vorkommen, die in der Forschung mit Männergräbern assoziiert werden als auch Gegenstände oder bestimmte Kombinationen, die als Indizien für Frauengräber gelten – und genau diese Mischinventare zeichnen die „Amazonen“-Gräber aus. Den anthropologischen Befunden nach zu urteilen sind Mischinventare bisher nur für als weiblich bestimmte Individuen bekannt – und zwar interessanterweise nur für diejenigen, bei denen “starke weibliche Merkmale am Skelett” (Rolle 1986, 54) erkennbar waren. Das heißt, dass sich vielleicht sogar eine größere Anzahl Kriegerinnen in den Bestattungen verbirgt, da Skelette mit weniger ausgeprägten Merkmalen möglicherweise falsch bestimmt wurden. Ein intensives Reit- und Kampftraining kann außerdem Veränderungen am Skelett bewirkt haben, die unter Umständen ebenfalls zu Fehlbestimmungen führen. (Auch das zeigt wieder, dass unsere Vorstellungen von „männlich“ und „weiblich“ Einfluss auf wissenschaftliche Untersuchungen haben und dass es auch in der Wissenschaft mit der Objektivität schwierig ist.)
Die Interpretationsmöglichkeiten gehen in unterschiedliche Richtungen. Es ist denkbar, dass wir hier Frauen in Männerrollen vor uns haben (sozialer Geschlechterrollenwechsel ), dass es sich um eine Abweichung von zwei gesellschaftlich akzeptierten Kategorien handelt, dass wir es mit einer dritten Geschlechtskategorie zu tun haben, wie sie z. B. aus verschiedenen ethnologischen Forschungen bekannt ist, oder dass die Geschlechterrollen flexibler waren als klassischerweise in der Archäologie angenommen wird. Es kann aber ebenso gut sein, dass die Funktion der „Amazonen“ als Kriegerinnen mit dem Geschlecht nichts zu tun hatte. Wir wissen nicht mit Sicherheit, welche Definition von „männlich“ und „weiblich“ (und möglicherweise weiteren Geschlechskategorien) die skythischen und sauromatischen Gruppen hatten und welche Geschlechterrollen und -identitäten es in den entsprechenden Kulturen/Gruppierungen gab. Dementsprechend können wir weder von einem Rollenwechsel ausgehen, der feste Geschlechterrollen voraussetzen würde, noch von einer Trans*-Identität, die das Vorhandensein von binären Geschlechtsidentitäten voraussetzen würde. Eine dritte Geschlechterkategorie ist ebenso denkbar wie die absolute Unwichtigkeit des Geschlechts für die Funktion als Krieger*in.
Auf antiken bildlichen Darstellungen der Amazonen werden diese häufig mit Streitäxten gezeigt.
Während Renate Rolle 1986 schrieb, dass materielle Belege für Streitäxte in Frauengräbern nur eine Frage der Zeit sein können, ist inzwischen eine Streitaxt als Beigabe aus einem Grab mit einer anthropologisch als weiblich bestimmten Bestatteten belegt: Als “Amazone von Pazyryk” wird eine junge Frau bezeichnet, die im Kurgan (Grabhügel) 1 im Grabkomplex von Ak-Alacha 1 im Hochaltai bestattet wurde und deren Bestattungsumstände auch ansonsten sehr interessant sind: Es handelt sich hierbei um eine Doppelbestattung der etwa 16-17 Jahre alten Frau und eines etwa 45-50 Jahre alten Mannes, der an Morbus Bechterew gelitten hatte. Die beiden wurden in getrennten Holzsärgen bestattet, beide hatten neben anderen Beigaben jeweils einen Eisendolch, eine eiserne Streitaxt bzw. Streithammer mit Holzgriff, einen nur fragmentarisch erhalteten Köcher mit Pfeilspitzen und Teile eines hölzernen Bogens in unmittelbarer köperlicher Nähe. Zudem fanden sich in beiden Särgen Gürtelschnallen, die erwähnenswert sind, weil innerhalb der Pazyryk-Kultur nur Krieger Gürtel mit Schnallen besaßen. In einem eigenen Grabkammerabschnitt wurden mehrere Pferde bestattet, die wohl zu diesem Anlass getötet wurden, wie die von Streitpickeln eingeschlagenen Schädel annehmen lassen. Dieser Umstand weist zusammen mit vielen anderen reichen Beigaben auf einen hohen Status der Bestatteten innerhalb ihrer Gesellschaft hin. Da die Erkrankung des Mannes nachweislich die gesamte Wirbelsäule stark einschränkte und er nicht eigenständig aufs Pferd steigen konnte, wird die junge Frau als seine Gehilfin und Beschützerin interpretiert, was durch ihre Körperbeschaffenheit und gut entwickelte Muskulatur gestützt wird. Eine beginnende Deformation ihrer Knochen weist darauf hin, dass sie an der gleichen genetisch vererbbaren Krankheit in einem frühen Stadium litt, was ein Verwandtschaftsverhältnis der beiden annehmen lässt. Beide Verstorbenen wurden nicht einfach nebeneinander, sondern gleichzeitig bestattet. Die Todesursache des Mannes mag seine Erkrankung gewesen sein, die Todesursache der jungen Frau ist bisher nicht geklärt. Es ist möglich, dass sie ihm als seine Beschützerin / Gehilfin in den Tod folgen musste oder wollte, allerdings sind zumindest am Knochenmaterial keine Spuren von Gewaltanwendungen gefunden worden.
Im Gebiet der sauromatischen Kultur wurden nach der Archäologin Renate Rolle etwa 20% der Bestatteten mit Waffen und Pferdegeschirr anthropologisch als weiblich bestimmt (Stand 1986). Was die Waffen angeht, herrschen hier vor allem Pfeil und Bogen vor.
Aus der skythischen Region sind ebenfalls zahlreiche Frauengräber mit Waffenausstattung bekannt. Es fanden sich um die 130 Gräber im Süden der Ukraine, in denen Kriegerinnen bestattet wurden und die alle ins 5./4. Jh v. Chr. datieren (Stand 2010). Wie es in anderen Regionen zahlenmäßig genau aussieht und wie die Verteilung zeitlich insgesamt ist, ist aus der mir vorliegenden Literatur nicht ersichtlich. Prozentuale Angaben für Skythien fehlen, ebenso wie andersherum die genauen Zahlen aus dem sauromatischen Gebiet. Die Vielfalt der Waffenbeigaben ist in der skythischen Region größer und es finden sich zum Teil auch Kombinationen unterschiedlicher Waffen, was für die Beherrschung unterschiedlicher Kampfarten sprich. Gefunden wurden Lanzen, Wurfspieße, Schwerter, Dolche, Pfeile, Köcherreste, zudem verschiedene Schutzrüstungsteile wie Schuppenpanzer und metallverstärkte Kampfgürtel.
An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, dass niemand sich selbst bestattet. Bestattungen geschehen im gesellschaftlichen Kontext und Konsens. Das ist deswegen interessant, weil wir davon ausgehen können, dass die “Amazonen” in ihrer Rolle und/oder Funktion akzeptiert wurden. Renate Rolle erwähnt immer wieder, dass „Amazonen“ aus (fast) allen sozialen Schichten bekannt sind und bezieht sich dabei auf den Ausstattungsreichtum der Gräber. Sie stellt aber auch heraus, dass „Amazonen“-Bestattungen meistens entweder Einzelbestattungen sind oder aber im Falle von Mehrfachbestattungen die Hauptbestattung darstellen und keine spätere Nachbestattung – das heißt, das Grab wurde für sie angelegt. Auch dieser Umstand kann einen Hinweis auf sozialen Status geben. Insofern ist denkbar, dass ein gewisses Ansehen mit ihrer Rolle/Funktion einhergegangen sein könnte, dass sie also nicht nur akzeptiert, sondern auch geschätzt wurden.
Bei Schwertbeigaben in Männergräbern kommt niemand in der archäologischen Forschung auf die Idee, zu postulieren, dass das Schwert nicht von dem hier bestatteten Mann benutzt wurde und dass die Beigabe andere Gründe hatte (es sei denn, das Schwert ist aus Gold, hat keinerlei Gebrauchsspuren, und/oder ist eindeutig nicht funktional – dann wird es als Statussymbol oder Herrschaftsinsigne angesprochen).
Aber bei Frauengräbern mit Schwertern werden keine Mühen gescheut, andere Eklärungen zu finden – und scheinbar wird die Absurdität oft nicht einmal bemerkt. Da gibt es die (beliebte) Annahme, das rituelle Gründe bestehen. Oder die Leichname der Männer, die eigentlich hier bestattet werden sollten, waren nicht verfügbar und mussten durch Frauen ersetzt werden. Oder die Frauen bekamen die Waffen ihrer Väter / Brüder / anderer männlicher Verwandter mit ins Grab. Oder die Waffe im Grab der Frau war ein Geschenk ihres Ehemanns. Oder es könnte sich statt um Frauen um Enarer handeln: Männer, die für die Plünderung eines Aphrodite-Heiligtums von der Göttin mit einem “Frauenleiden” bestraft wurden.
Das alles klingt auf Anhieb sofort viel plausibler als der Gebrauch der Waffen durch Frauen, oder?! (Leider sind das alles ernst gemeinte Vorschläge, wenn auch nicht alle für diese Region und diese Zeit.)
Die anthropologischen Befunde zeigen deutlich, dass die Waffen benutzt wurden und dass die bestatteten “Amazonen” an Kampfsituationen beteiligt waren. So ist z.B. die Beanspruchung durch kontinuierliches Bogenschießen anhand von Verschleißerscheinungen an zwei Fingern der rechten Hand einer Bestatteten aus der Nekropole des Certomlyk-Kurgans (Kurgan 11, Bestattung 2) in der heutigen Ukraine belegt. Eine dreiflügelige bronzene Pfeilspitze war wahrscheinlich die Todessursache einer verhältnismäßig jungen Frau aus der gleichen Nekropole (Kurgan 9, Bestattung 2). Eine 30 bis 40 Jahre alte Frau, die unter anderem mit einer Lanze und einem Eisenmesser in Grusinien (entspricht geografisch dem antiken Kolchis) bestattet wurde, weist eine schwere Verletzung an der linken Schädelseite auf. Diese ist nach Meinung des Ausgräbers als Folge eines Schlags oder Stichs anzusehen und hatte vor ihrem Tod bereits begonnen, auszuwachsen – das heißt, die Bestattete hat diese Verwundung noch eine ganze Weile überlebt. Vergleichbare und weitere Verletzungen finden sich noch an weiteren Skeletten aus anderen Gräbern. Altersmäßig überwiegen jüngere “Amazonen”, was zusammen mit den Verletzungen für einen frühen Tod im Kampf spricht.
Für Schutzrüstungen, die im skythischen Gebiet nachgewiesen werden konnten, wurde übrigens früher in der archäologischen Forschung angenommen, dass Frauen sie aufgrund ihres Gewichts nicht tragen konnten – inzwischen gibt es sowohl Belege für die Nutzung durch anthropologisch als weiblich bestimmte Individuen als auch Belege durch experimentelle Versuche.
Es gab Personen, die körperlich unserer Definition von “weiblich” entsprachen, aber mit Beigaben bestattet wurden, die in der archäologischen Forschung männlich konnotiert sind. Das wird eventuell als Diskrepanz wahrgenommen – die allerdings nur mit den Erwartungshaltungen und tradierten Denkweisen der Interpretierenden zu tun hat. Es läuft alles darauf hinaus, dass wir zwei konstruierte Kategorien haben, die in der Forschung früher niemals miteinander verknüpft wurden und so nicht in das Bild der traditionellen archäologischen Forschung passen. „Amazonen“-Gräber sind komplexe Bestattungen, die traditionelle Sichtweisen herausfordern und die uns zeigen, dass die bisherigen archäologischen Interpretationen zu wenig Möglichkeiten in Betracht ziehen und dass die archäologische Forschung ihr Weltbild öffnen muss. Unklar bleibt, wie viele anthropologisch als „weiblich“ bestimmbare Individuen mit Waffenbeigaben aufgrund der Beigaben als „männlich“ interpretiert wurden, weil die anthropologischen Bestimmungen nicht durchgeführt wurden. Es ist möglich, dass es viele weitere Gräber von Kriegerinnen oder Jägerinnen gibt, die nicht erkannt wurden. Aber selbst, wenn es sich dabei um Ausnahmen handelt, sind diese wichtig für ein differenziertes Bild der jeweiligen Gesellschaft. Mit jeder übersehenen oder für unwichtig befundenen und daher ignorierten Ausnahme wird ein Bild von Geschlechterrollen und -verhältnissen der Vergangenheit gefestigt, das wegen genau dieser Ausnahme überdacht werden müsste. Wir schaffen uns durch eingeschränkte Interpretationen eingeschränkte Vorstellungen von Rollenbildern in der Geschichte, und übertragen diese dann auf die Gegenwart. Statt dessen muss (nicht nur) die archäologische Forschung ihren Blick schärfen für die eigene Interpretationsbasis, für Verzerrungen und Vereinfachungen, die weder der Vergangenheit noch unserer gelebten Realität gerecht werden.
Ideal wäre es, für anstehende Untersuchungen keine bestimmte Anzahl von Geschlechterkategorien anzunehmen und für Gesellschaftsmodelle offen zu sein, die von unseren bekannten abweichen.
Karlisch, Sigrun M. et al. (Hrsg.):
Vom Knochenmann zur Menschenfrau. Feministische Theorie und archäologische Praxis
. Münster 1997
(Zu Geschlechterforschung in der Archäologie und der allgemeinen Problematik von Beigaben und Geschlecht)
Parzinger, Hermann
:
Die Skythen
. 2. Auflage, München 2004
(Allgemeines zu den Skythen, nur wenig zu den “Amazonen”)
Rolle, Renate
:
Die Welt der Skythen
. Frankfurt / Main 1980
(Schöner kleiner Band mit vielen Bildern, hauptsächlich zu den Skythen allgemein)
Rolle, Renate
:
Amazonen in der archäologischen Realität
. In: Kreutzer, Joachim (Hrsg):
Kleist-Jahrbuch
. Berlin 1986, S. 38 – 62
(Wichtiger und wegweisender Artikel zur archäologischen Forschung der „Amazonen“. Verknüpfung von Mythologie und schriftlicher Überlieferung mit den archäologischen Befunden, grundlegende Informationen zu den archäologischen Befunden, Mischinventaren, Interpretation der Gräber, Benutzung der Waffen etc…)
Historisches Museum der Pfalz Speyer (Hrsg.)
:
Amazonen – Geheimnisvolle Kriegerinnen
. München 2010, S. 178-181
(Ausstellungskatalog mit Essays zu verschiedenen Themenkomplexen. Mehrere Artikel von Renate Rolle, die als Ergänzung / Update zu ihrem Artikel von 1986 wichtig sind. Außerdem Infos zur Amazone von Pazyryk und Belege für Lamellenrüstungen)
Übrigens: Ausdrücklich nicht empfehlenswert finde ich Die verlorene Geschichte der Amazonen von Gerhard Pöllauer. An den Haaren herbeigezogen und totale Zeitverschwendung.
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Ich bin 35 Jahre jung, gesund, intelligent, Single und habe eine gute Ausbildung als Diplom-Mathematiker. Ich arbeite in einem Finanzinstitut und verdiene gut. Ich habe keine finanziellen Verpflichtungen, keine Familienmitglieder, um die ich mich kümmern müsste. Kurz: ich bin relativ jung, gebildet und unabhängig.
Ich bin agender und asexuell. Das bedeutet, dass ich mich keinem Geschlecht zugeordnet fühle und kein Verlangen nach sexueller Interaktion habe. Generell besitze ich eine große innere Distanz zu vielen Lebensbereichen, die anderen Menschen wichtig und alltäglich sind. Es ist für mich spannender, ein Muster in den Deckenplatten zu analysieren, als mit meinen Kolleg*innen über das Wetter zu reden. Freundschaften bedeuten mir nicht viel; ich arbeite mich lieber in ein kompliziertes Sachthema ein. Das gibt mir Energie und Lebensfreude. All diese Dinge habe ich mir nicht ausgesucht. Sie sind einfach so – so wie einige Menschen sich zu gleichgeschlechtlichen Partner*innen hingezogen fühlen.
Das sind aber nicht die Gründe, weshalb es mir nicht gut geht, denn meine Identität ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Mir geht es nicht gut, weil ich in einer Gesellschaft leben muss, in der viele Menschen sehr anders funktionieren als ich und die gesellschaftlichen Prozesse und Rituale nicht auf Menschen wie mich ausgelegt sind.
Ich stamme aus bescheidenen Verhältnissen. Als Sohn eines Schlossers und einer Putzfrau wuchs ich zwar nicht in einer ärmlichen Umgebung auf, doch Bildung und Kultur waren bei uns kein Thema. Abitur war in meiner Familie kaum vorstellbar, geschweige denn ein Studium oder gar eine Promotion.
Als Kind und Jugendlicher hatte ich große Probleme mit dem Rollenkonstrukt der Männlichkeit, das meine Familie und die Gesellschaft mir aufdrücken wollten. Ein junger Mann, der partout nicht handwerklich tätig sein und bei der Hausrenovierung helfen wollte? Nein, das war in Arbeiterkreisen unvorstellbar. Schon so kleine Dinge wie die Weigerung, Auto zu fahren, führten zu großen Familienkrisen. Ich flüchtete mich in mein Studium und zog 700km von Zuhause weg.
Mein Studium war für mich organisatorisch sehr anstrengend. Ich musste mich mit BAföG, Halbwaisenrente und Nebenjobs über Wasser halten. Ich hatte mit Mitstudierenden zu tun, die aus wohlhabenden und gebildeten Familien stammten und völlig anders lebten als ich.
Es gab Zeiten in meinem Leben, da hatte ich keine Kraft den Telefonhörer abzunehmen oder die Wohnungstür zu öffnen. Ich wusste, dass da draußen nur Menschen waren, die von mir verlangten, mich gemäß einer gesellschaftlichen Norm zu verhalten, die nicht zu mir passte. Ich ging nur noch kurz vor Ladenschluss einkaufen und lebte nachts. Vorlesungen besuchte ich so gut wie nie – ich brauchte sie nicht. Soziale Medien im Internet gab es noch nicht.
Ich hatte Angst auf Partys zu gehen und mich mit Unbekannten über Belanglosigkeiten unterhalten zu müssen. Ich habe noch heute mit körperlichen Panikattacken zu kämpfen, wenn ich in unbekannte, überwiegend männlich dominierte Gruppenstrukturen komme. Schweißausbrüche, zittrige Hände. Ich kann es überspielen, denn geistig habe ich die Probleme schon hinter mir gelassen. Aber die Vergangenheit meldet sich noch heute.
Der Abschluss meines Studiums und meine ersten Berufsjahre halfen mir sehr. Zum einen war es für mich eine Bestätigung, dass ich die Anforderungen der Gesellschaft erfüllen konnte. Zum anderen erfuhr ich Bestätigung durch andere, da mein Mathematikabschluss von ihnen ernstgenommen wurde – was wiederum meinem Selbstwertgefühl half.
Ich habe ein großes Privileg: meine Abweichungen von der Norm sind alle unsichtbar. Wenn ich einen Raum betrete, so sehen die Menschen zunächst einen jungen, weißen Mann, der Anzug trägt und sich höflich und freundlich verhält. Wenn ich in Gesprächen über eine (frühere) Partnerin rede, so gelte ich sofort als heterosexuell und damit normkonform.
Ich habe gelernt, damit zu arbeiten. Ich habe mir ein konservatives Auftreten zugelegt. Ich habe gelernt, mich zu verkaufen und auch mal harte Positionen zu vertreten. Kurz: ich habe mich äußerlich angepasst, ohne mein Wesen zu ändern.
Diese Anpassung hat mir viele Türen geöffnet. Ich vermittle Menschen bewusst ein unbewusstes Bild, das in ihre Weltansicht passt und dort nicht sanktioniert wird. Ich profitiere davon und habe kein schlechtes Gewissen dabei. Es ist für mich ein Mittel zum Zweck, weil ich es nicht einsehe, grundlos wegen meines Wesens bestraft zu werden.
Ich befinde mich im Vergleich zu vielen anderen Menschen in einer privilegierten Stellung. Einerseits bin ich nicht Teil des cis-männlichen, heterosexuellen Systems, andererseits kann ich meine Abweichungen aber äußerlich verbergen. Dieses Privileg in der Diskriminierung haben vergleichsweise wenige Menschen. Ich habe lange gebraucht, um diesen Unterschied zu verstehen.
Wenn ich als normgerecht wahrgenommen werden möchte, so ziehe ich statt einem Kleid eben einen Anzug an. Da ich agender bin, stört mich das eine so wenig wie das andere. Ich habe gelernt, dass sich andere Menschen nicht für meine spezielle mathematische Sichtweise interessieren. So suche ich mir Themen, von denen ich denke, dass sie das Gegenüber spannend findet und meide meine eigene Art zu diskutieren. Das ist für mich nicht befriedigend, denn auch ich möchte mein Wesen offen ausleben, aber es ist möglich und erlaubt mir ein Berufsleben ohne gesellschaftliche Barrieren.
Für mich leitet sich aus diesem Privileg aber auch eine Verantwortung ab. Ich kann meine Privilegien nicht ablegen, selbst wenn ich das wollte. Aber ich kann dafür sorgen, dass andere Menschen, die nicht so viel Glück haben, irgendwann einmal über weniger Steine gehen müssen. Ich habe für mich den Weg über politisches Engagement und Sichtbarkeitsaktivismus gewählt. Es ist nur ein kleiner Beitrag zur Verbesserung der Situation für Normabweichler*innen, aber insbesondere gesellschaftliche Sichtbarkeit ist ein wichtiger erster Schritt.
Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen in sich gehen und sich überlegen, welche Vorteile sie im Leben aufgrund ihrer Geburt in ein vorgefertigtes System erfahren. Der Volksmund sagt, dass jeder Mensch anders ist. Das mag stimmen, aber nicht alle Formen der Andersartigkeit münden in gesellschaftlicher Diskriminierung und nicht jede Diskriminierung kann im gesellschaftlichen Leben überspielt werden.
Es ist keine Schande, Privilegien zu besitzen und davon zu profitieren. Es wäre aber eine Schande, wenn man nicht an deren Abbau mitarbeitet. Wenn sich ein System von innen heraus verändern soll, so braucht es Menschen mit Privilegien, die sich für für ihren Abbau einsetzen und die für Erfahrungsberichte von diskriminierten Menschen ein offenes Ohr haben.
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All we are
all we are, we are
we are all, all we need
All we are
all we are, we are
we are all, all we need
There’s beauty in the heart of a beast
fear behind the eyes of a thief
i know, you know we’re all incomplete
lets get together
and lets get some relief
stronger than a mountain of steel
faster than hell on wheels
we’ve got we’ve got all the power we need
lets build a playground on this old battelfield
now we’re stronger
we no longer want you bringin‘ us down
we’ve got the magic
so we’re gonna spread the magic around yeah!
Now we’re stronger
we no longer want you pushin’us
Warlock – All we are (1987)
Als ich in der 9. Klasse war, geschahen zwei Dinge, die alles für immer veränderten:
Bones schneite in mein Leben. Und brachte eine Musik mit, die jede mir bis dahin bekannte Ordnung in Frage stellte. Laut, gefährlich und unangepasst. Diabolisch und verboten. Schon der Name war gleichzeitig toxisch und verheißungsvoll: Heavy Metal.
Da wurde zu verzerrten Gitarren gebrüllt, Männer hatten lange Haare und Frauen trugen Lederjacken. Sogar der Teufel galt als gar nicht mal sooo übel, schließlich hatte er seinerzeit Machtstrukturen hinterfragt und wurde dafür aus dem Himmel geworfen. (Das hatte ihm aber nicht nachhaltig geschadet, denn er hatte ja sehr erfolgreich seinen eigenen Laden aufgemacht; einen Laden, zu dem wir – die Metalheads – irgendwie auch gehörten.)
Kurz gesagt: Ich fand eine Welt, in der es Nischen für mich gab. Eine Welt, die mir Sicherheit und Halt bot, während die dörfliche Lebensrealität um mich herum immer absurder und irrsinniger wurde. Eine Welt, deren Symbolsprache ich verstand. Lange bevor ich mein
Coming Out
hatte, mich in feministische Theorien einlas und auf die Queer Studies stieß, fand ich im Heavy Metal das Versprechen, dass es in Ordnung ist, anders zu sein. Eine Welt, die Unangepasstheit feierte.
Und obwohl viele wohlmeinende Menschen nicht müde wurden, Bones und mir immer wieder zu versichern, dass es sich bei unserer Schwärmerei für diese Musikrichtung ja nur um eine Phase handelte, blieb der Metal uns treu. Über die Jahre veränderten wir uns und damit auch unseren Zugang und unsere Fragestellungen. Was blieb, war Heavy Metal als riesengroße Metapher für die Möglichkeit, außerhalb der Normalität zu leben. Auch und gerade, wenn du nicht hetero und cis bist.
Mit unserem queeren Blick
auf Metal wollen Bones und ich in Zukunft hier bloggen. Ihr dürft also gespannt sein auf unsere Serie „Metalheads“. Und falls ihr Lust auf Musik habt:
Hier
performt die großartige Doro Pesch live auf Wacken.
Übrigens – falls das nicht eh schon klar ist: Unser Zugang ist absolut subjektiv. Uns ist außerdem bewusst, dass es im Heavy Metal sehr wohl Sexismus, Heterosexismus und Rassismus gibt. Wir werden das zu gegebener Zeit auch thematisieren.
In erster Linie geht es uns in dieser Serie allerdings darum, queere Räume zu zeigen und unsere ganz persönlichen Erfahrungen und Gedanken zu teilen. Wir wollen keineswegs Erfahrungen abwerten, die andere Menschen in diesem Zusammenhang gemacht haben.
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(Ich rede in diesem Text viel von Frauen und Männern. Mir ist bewusst, dass Geschlecht sozial konstruiert ist, und ich meine, wenn ich die Begriffe „Mann“ und „Frau“, „männlich“ und „weiblich“ im Text verwende, stets diese soziale, kulturell geprägte Lesart. Auch ist mir bewusst, dass Geschlecht eher einem Kontinuum als binären Kategorien entspricht.)
Gerade habe ich die Glotze ausgemacht. Und ich bin sauer. Denn ich habe wieder einmal Frauen gezählt .
Naja, ich bin ja selbst Schuld: Seit einiger Zeit schon zähle ich Frauen. In Führungsetagen, in Filmen, bei Events , in Talkrunden, in Musikbands, auf Wahllisten. Ich zähle Frauen, um einen Eindruck zu gewinnen: Wie sehr haben sich die Menschen bemüht, diese simpelste Dimension von Diversität zu honorieren? Wenn sich in einer Diskussionsrunde unter sieben Männern nur eine Frau befindet, ruft das bei mir Stirnrunzeln hervor. Sind weibliche Lebensrealitäten (Plural!) hier nicht von Interesse, oder gar unerwünscht? Wurden Frauen einfach vergessen? Oder haben die Produzenten einfach nur ihre Dudebros gefragt, statt ernsthaft nach Expert*innen zu suchen?
Es ist unbestreitbar: Repräsentation ist wichtig! Gibt es keine Frauen in Führungsetagen, sendet das die Botschaft aus: Frauen sind hier nicht willkommen. Gibt es keine tragenden weiblichen Rollen in einem Film, sagt das: Die Geschichten von Frauen verdienen es nicht, erzählt zu werden. Gibt es nur eine weibliche Rolle, sagt das: Hey schau, wir haben sie doch drin – die Frau. Die eine. Die, die wie alle Frauen ist. Gleich. Immer gleich.
Aber zurück zu heute Abend. Ich habe die Sendung „ Der Haushalts-Check mit Yvonne Willicks – Waschen“ gesehen. Nach der Tagesschau bin ich daran hängen geblieben, und naja, es ist mir so passiert. Nach kurzer Zeit des Frauenzählens wurde ich allerdings misstrauisch: Da waren so viele Frauen! Fast nur Frauen! Eine Frau führt durch die Sendung, Frauen werden auf der Straße befragt, zu Hause besucht. Eine längere Szene betrachtete ein ganzes Dorf, und man sah hier – Frauen! Frauen über Frauen! Insgesamt zwei Männer konnte ich ausmachen, sie standen verschämt am Rand der Gruppe von geschätzt 40 Frauen auf der Dorfwiese.
Auffällig war aber auch: Immer, wenn es darum ging, Profis zu bestimmten Themen zu Wort kommen zu lassen, war von Frauen plötzlich nicht mehr die Spur. Die Frauenquote brach ein und landete nach Befragung von insgesamt 4 Experten bei: 0%. Da werden mehrere Dutzend Frauen zum Wäschewaschen befragt, aber die, deren Meinung Gewicht hat, an die wir uns hinterher erinnern – sind männliche Experten.
Die Gleichung „Profi / Expert*in in Frauendingen = Mann“ ist bedauerlicher Weise weit verbreitet. Da stylen im Frühstücksfernsehen Expertenmänner Frauen um , die einfach nicht wissen, wie sie sich vorteilhaft schminken sollen. Expertenmänner zeigen Models, wie sie sich sexy auf dem Laufsteg bewegen , auch auf unmenschlich hohen Schuhen . Expertenmänner bewerten Geschmack und Stil von Frauen . Denn sie wissen es ja besser, denn ihr Geschmack ist unfehlbar. Männer schneiden Frauen die Haare , besser, als sie es selbst je könnten.
Eingedampft sendet dies in etwa folgende Botschaft aus: Eine Frau, die nur ihr Leben lebt, sich anzieht, vielleicht schminkt, vielleicht nicht, die eventuell den Haushalt macht, egal, ob sie noch einen anderen Beruf hat oder nicht, naja, die ist halt einfach kein Profi! Die hat dieses Frau-sein ja nicht irgendwo professionell gelernt! Also, da sollte mal ein Mann kommen und ihr zeigen, wie das richtig geht!
Männer, Experten in allen Dingen. Und Frauen, Expertinnen für nichts.
Womit ich wieder beim Wäsche waschen wäre. Denn hier stoße ich mit einfachem „Frauen zählen“ auf ein Problem: Würde ich einfach nur Frauen zählen, ungeachtet der Rolle, in der sie präsentiert werden (sic!), müsste ich zu dem Schluss kommen, dass Frauen hier doch recht passabel wegkommen: Es werden eine Menge Frauen gezeigt. Sicher, jede nur kurz, aber da!
In komplexen Settings, gerade in Film und TV, in denen nicht jeder auftretenden Person eine ähnlich starke Rolle zuteil wird, sondern in denen hierarchische Gefälle dargestellt werden, lohnt es, genau hinzuschauen. Wenn beispielsweise Expert*innen mit ahnungslosen Personen kontrastiert werden, ist es sinnvoll, statt Frauen Rollen zu zählen . Und das geht so: Statt nur die Häufigkeit von Frauen zu betrachten, wird auch die Rolle hinzugenommen, in der sie auftreten. Das kann auf einfachem Niveau geschehen: Wie viele Frauen tauchen auf, die Fragen stellen, ohne je eine zu beantworten? Wie viele Frauen werden als Expert*innen gezeigt? Wie viele in Gebieten, die nicht stereotyp weiblich konnotiert sind?
Diese zusätzliche Dimension deckt Stereotype auf, wo sich Formate einen progressiven Anstrich geben wollen, aber nicht aus ihrem eigenen Vorurteilssumpf herausschauen können. Und weiter nur Stereotype reproduzieren, anstatt Rollenklischees aufzubrechen.
Aber Vorsicht: Es gibt keinen Weg zurück. Wer mit dem Rollen zählen begonnen hat, blickt in den Abgrund. Und muss vielleicht feststellen, dass für manche Menschen bis heute unvorstellbar ist, dass eine weibliche Expertin etwas Erhellendes zum Thema Waschen beitragen kann.
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In der prähistorischen Archäologie waren Gräber zunächst die wichtigsten Forschungsobjekte. Sie wurden als Spiegel des Lebens und als direktes Abbild der Gesellschaft angesehen. Die Kleidung, die Bestattete trugen, wurde als übliche (Alltags-) Kleidung oder Tracht angesprochen, die beigegebenen Gegenstände wurden als persönliche Habe der bestatteten Person angesehen, die diese im Leben benutzte. Inzwischen gelten diese Annahmen als überholt: Bestattungen werden viel eher als eine Möglichkeit gesehen, wie Hinterbliebene sowohl die bestattete Person als auch sich selbst darstellen können. Nicht nur der Status der*des Verstorbenen wird ausgedrückt, sondern ebenso der Status der Angehörigen – das wird klar, wenn man sich überlegt, dass sich niemand selbst bestattet. Außerdem sind Bestattungsrituale (inklusive Kleidung und Beigaben) nicht individuell, sondern sie folgen bestimmten gesellschaftlichen Normen und Werten. Es ist anzunehmen, dass eine bestattete Person mit ihrer Kleidung und ihren Beigaben ein Idealbild der entsprechenden Gesellschaft verkörpert und wir können nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Person als Indiviuum diesem Idealbild auch (vollkommen) entsprach. Sicher sagt die Bestattung trotzdem etwas über die Gesellschaft und ihre kollektive Identität aus, sollte aber nicht eins zu eins mit einer Lebensrealität gleichgesetzt werden.
Die Interpretation des Grabes als genaues Abbild des Lebens zeigt, dass archäologische Forschung nicht objektiv und nicht endgültig ist, sondern dass bestimmte Annahmen im Laufe der Zeit Diskussion und Veränderungen erfahren.
Aber zurück zu den Gräbern.
Was einige vielleicht nicht wissen: Es war lange Zeit üblich, das Geschlecht einer bestatteten Person ausschließlich anhand der Grabbeigaben zu bestimmen (die sogenannte archäologische Geschlechtsbestimmung). Welche Grabbeigaben eignen sich aber zur Bestimmung des Geschlechts? Es war offenbar nicht vorstellbar, dass einer bestatteten Frau ein Schwert mit ins Grab gegeben wurde, also galten Schwerter und andere Waffen in der frühen Forschung (und leider häufig noch immer) als Indiz für Männergräber. Diese Annahme führte zu einem fatalen Zirkelschluss : Schwerter wurden mit Männlichkeit assoziiert, also wurden Gräber mit Schwertern als Männergräber angesprochen. Bei Auswertungen wurde dann festgehalten, dass Schwerter nur in Männergräbern gefunden wurden. Die Tatsache, dass das Schwert ja jeweils das war, was den Ausschlag für die Geschlechtsbestimmung gab, wurde einfach übersehen.
Schmuck galt nur bei gleichzeitiger Abwesenheit von Waffen als Indiz für eine Frauenbestattung. Enthielt ein Grab Waffen und Schmuck, so wurde von einer Männerbestattung ausgegangen, da die Waffe als ausschlaggebendes Definitionsmittel für Männergräber alle anderen Faktoren quasi übertraf. Ein Schmuck tragender Mann war demnach eher vorstellbar als eine Waffen tragende Frau. Diese Vorstellung schlug sich direkt in der archäologischen Geschlechtsbestimmung nieder, die eine der Grundlagen der archäologischen Forschung bildete und bis heute nicht aus den Köpfen der Archäolog*innen und der Gesellschaft verschwunden ist.
Da die Abwesenheit von Waffen auch andere Bedeutungen haben kann bzw. Waffen nicht auf allen Bestattungsplätzen üblich sind, wurde allerdings nicht jede Bestattung ohne Waffen im Umkehrschluss als Frauenbestattung interpretiert. Ein Merkmal, das in der Forschung so ausschließlich als Indiz für Frauenbestattung galt wie die Waffe für Männerbestattungen, gibt es meines Wissens nach nicht. Diese Umstände führen zu einer erhöhten Sichtbarkeit von Männern und einer erhöhten Unsichtbarkeit von Frauen und verzerren die Realität.
Neben der archäologischen Geschlechtsbestimmung gibt es die Möglichkeit der anthropologischen Geschlechtsbestimmung, die anhand von Maßen und Ausprägungen bestimmter Charakteristika an menschlichen Skeletten oder Skelettresten erfolgt. Je vollständiger das Skelett ist, desto sicherer ist die Geschlechtsbestimmung. Da am menschlichen Becken ein “funktionell bedingter Geschlechtsdimorphismus” (Grupe et al.: Anthropologie. Ein einführendes Lehrbuch (2005), S 93) vorliegt, ist die Bestimmung hier am sichersten und liegt für erwachsene Individuen bei einer Zuverlässigkeit von bis zu 96%. Merkmale und Maße von Schädel und Zähnen bieten ebenfalls eine hohe Bestimmungssicherheit, da Elemente an weiblichen Skeletten im Allgemeinen kleiner und weniger robust sind als die an männlichen. Allerdings muss für den sinnvollen Vergleich dieser Maße im Vorfeld eine Gesamterfassung der zu untersuchenden Population erfolgen und eine Serie als Datengrundlage aufgestellt werden, da es keine präzisen Grenzen zwischen den Geschlechtern gibt und die Maße relativ sind. Für die anthropologische Geschlechtsbestimmung muss der Geschlechtsdimorphismus der Vergleichsserie bekannt sein. Die Geschlechtsbestimmung von fragmentarisch erhaltenen Skelettresten kann bis zu 80% erfolgreich sein, die Geschlechtsbestimmung von nicht erwachsenen Individuen liegt bei etwa 70%.
Auch die anthropologische Geschlechtsbestimmung hat also bei weitem keine hundertprozentige Bestimmungssicherheit, hat aber gegenüber der archäologischen Methode einen eindeutigen Vorteil: Sie beruht nicht auf Objekten, von denen wir annehmen, dass sie einem bestimmten Geschlecht (von zweien, die in unserer Gesellschaft akzeptiert sind) zugeordnet sind. Damit enthält sie nicht schon im Vorfeld die unbegründete Prämisse von geschlechtsspezifischen Tätigkeiten oder einer geschlechtsspezifischen Nutzung von Objekten.
Ich habe schon im letzten Artikel über Vorannahmen gesprochen, die in der archäologischen Interpretation implizit bestehen. Die Annahme, dass eine Waffe als Beigabe auf eine Männerbestattung hinweist, ist nur eine davon. Weitere Annahmen, die zu einer Verzerrung des Gesellschaftsbildes vergangener Gemeinschaften führen, sind die der binären Geschlechterordnung und der ausschließlich heterosexuellen Paarbeziehung – sehr häufig wird gar von Ehe und Heirat gesprochen, ohne das Konzept auch nur ansatzweise zu hinterfragen. Diese Vorannahmen erfolgen stillschweigend; sie werden als so selbstverständlich vorausgesetzt, dass sie in keiner Weise thematisiert oder gar diskutiert werden. Ich kann mich an keine gängige Lektüre im Studium erinnern, die von diesen Annahmen abweichende Überlegungen anstellt. Dabei ist es ist nicht so, dass es keine Fachliteratur zu Genderthemen in der Archäologie gibt (es gibt zum Beispiel die Bände von FemArc ). Ich wurde von einer Ausgrabungsleiterin auf diese Themen aufmerksam gemacht und habe dann für meine Magistraarbeit umfangreich recherchiert. Wenn aber kein eigenes Interesse an kritischer Betrachtung von Archäologie und Geschlecht besteht, ist davon nichts zu merken; diese Themen sind weder Teil des Studiums, noch allgemein in der archäologischen Forschung verankert. Neuere Literatur lässt jedoch hoffen, dass langsam ein Wandel eintritt.
Gesellschaftsformen mit mehr als zwei Geschlechtern oder mit von den vorherrschenden Vorstellungen abweichenden Geschlechterrollen wurden in der Archäologie bisher selten in Betracht gezogen. Seminare und Vorlesungen im Studium waren ebenfalls stark in der Tradition verhaftet, obwohl ich Professoren (sic!) hatte, die eigentlich weiter gedacht haben. Dementsprechend ist auch für mich in vielerlei Hinsicht ein Umdenken bzw. ein Mehrdenken nötig.
Die anthropologische Geschlechtsbestimmung hat zwar gegenüber der archäologischen Geschlechtsbestimmung den bereits genannten Vorteil, dass sie nicht auf eine Interpretation von Objektnutzung angewiesen ist und stattdessen anhand körperlicher Merkmale erfolgt, jedoch ist auch das nicht ganz unproblematisch: Erstens befinden wir uns damit ebenfalls in einem binären Interpretationssystem, das nur Männer und Frauen mitdenkt und zulässt. In einem nicht-binären Gesellschaftssystem ist Geschlecht aber nicht am Körper ablesbar, kann also durch die anthropologische Geschlechtsbestimmung nicht erfasst werden. Zweitens sind zwar physische Merkmale erkennbar, aber das hilft nur sehr bedingt weiter: das hormonale Geschlecht ist durch die physische Anthropologie ebensowenig erfassbar wie das genetische Geschlecht oder das gonadale Geschlecht (und auch das genitale Geschlecht ist nur unter bestimmten konservatorischen Umständen sichtbar), und so zeigt diese entsprechend nur einen kleinen Ausschnitt von dem, was nach dem Verständnis unserer Gesellschaft das Geschlecht bedingt. Zudem ist weder vorauszusetzen, dass sich eine Geschlechteridentität in der entsprechenden zu untersuchenden Gesellschaft an diesen Merkmalen orientiert bzw. damit korreliert, noch, dass Geschlecht überhaupt relevant für die eigene Identität innerhalb dieser Gesellschaft ist. Die Anthropologie bezieht sich also nur auf Körper, Überlegungen zu sozialen Identitäten und Geschlechterrollen bleiben spekulativ (und sind dann zusätzlich auf die Beigaben angewiesen). Das heißt nicht, dass diese Überlegungen nicht angestellt werden können oder sollten, sondern nur, dass keine Tatsachen dargestellt werden können und dass Überlegungen als solche erkennbar sein sollten.
Was außerdem bei allen Interpretationen und Rekonstruktionen vergangener Gesellschaften beachtet werden sollte, ist, dass der menschliche Körper und seine Form als ein gesellschaftliches bzw. kulturelles Produkt angesehen werden müssen. Der Körper wird unter anderem durch Ernährung und Aktivitäten bzw. Belastungen geformt, die in manchen Gesellschaften abhängig vom Geschlecht sein können. Dabei zeigt sich jedoch gegebenenfalls eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der untersuchten Gesellschaft und nicht eine interpretierte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung anhand von Objekten, die ohne nachvollziehbare Grundlage einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden. Auf diese Weise wird es also möglich, die Wahrnehmung und Inszenierung von Geschlecht in der jeweiligen zu untersuchenden Gesellschaft in Teilen zu rekonstruieren. Es darf nur nicht der Fehler begangen werden, die Körperform als natürlich anzusehen und damit jede eventuell bestehende Differenz zwischen Körpern verschiedenen Geschlechts als biologische Gegebenheit zu betrachten. Was erschwerend hinzukommt, ist, dass auch unser Blick auf den Körper bereits kulturell geprägt ist, sodass wir Menschen aufgrund ihrer primären und sekundären Geschlechtsmerkmale in “männliche Körper” und “weibliche Körper” einteilen. Kultur geht hier der Natur sozusagen voraus.
Belastungen, Ernährung und körperliche Aktivitäten haben Einfluss auf die körperlichen Merkmale. Wird das Geschlecht anhand der Robustizität der Knochen bestimmt, werden Frauen, die harte körperliche Arbeiten verrichtet haben, unter Umständen anthropologisch als “männlich” bestimmt (was wieder in einer kulturell geprägten Erwartungshaltung bzw. Vorstellungsmöglichkeit begründet liegt). Trotzdem – und weil die Robustizität der Knochen nicht die einzige Möglichkeit der physischen Geschlechtsbestimmung ist – gibt es viele Fälle, in denen Menschen mit weiblich gelesener Physiognomie, die zu Lebzeiten männlich konnotierte Tätigkeiten ausgeführt haben, nach ihrem Tod weiterhin anthropologisch als “weiblich” bestimmt werden können. Das zeigt, dass die anthropologische Geschlechtsbestimmung eine gesellschaftliche Dimension aufdecken kann, die bei der Anwendung der archäologischen Geschlechtsbestimmung verborgen bleiben würde: geht man nur nach den Beigaben und nimmt an, dass Schwerter ausschließlich Männern beigegeben wurden, sind nur kämpfende Männer sichtbar (archäologische Geschlechtsbestimmung). Geht man nach dem anthropologischen Befund, können auch kämpfende Frauen in Erscheinung treten (zum Beispiel Wikingerinnen ). Ob ein anderes Verständnis von Geschlecht, ein Geschlechterrollenwechsel, oder eine von unserem traditionellen Weltbild abweichende Geschlechtsidentität dahinter steckt, oder ob Aktivitäten und Beigaben in der jeweiligen Gesellschaft gar keinen Zusammenhang mit dem Geschlecht hatten, lässt sich nicht einfach und vor allem nicht pauschal beantworten. Immerhin lässt sich mit Hilfe der anthropologischen Geschlechtsbestimmung eine weitere Facette unserer Vergangenheit zeichnen und ein differenzierteres Bild entwerfen als durch die archäologische Geschlechtsbestimmung. Leider wird in der prähistorischen Archäologie allzu häufig letzterer der Vorzug gegeben. Es ist nicht nur so, dass die anthropologische Geschlechtsbestimmung nicht der Standard ist, sondern es gibt mehrere mir bekannte Fälle, in denen Skelette aufgrund ihrer Beigaben umgedeutet wurden, und Fälle, in denen das Urteil des zuständigen Anthropologen (betrifft möglicherweise auch Anthropologinnen, allerdings nicht in den mir bekannten Beispielen) durch die Ausstattung der*des Bestatteten beeinträchtigt wurde.
Dass das Bild, das sich durch das Zusammenspiel von anthropologischer Geschlechtsbestimmung und Beigabenzuordnung zeichnen lässt, aber noch nicht differenziert genug ist, zeigt die bereits genannte bestehende Annahme einer binären Geschlechterordnung und vorherrschender Heteronormativität. Hier ist ein entsprechendes Bewusstsein in der archäologischen Forschung nötig und hier muss in archäologischen Interpretationen angesetzt werden. Dass es durchaus Gedanken in diese Richtung gibt, zeigt ein jüngerer Befund aus Prag, den ich zu gegebener Zeit in einem eigenen Artikel vorstellen möchte.
Wie sehr unsere vermeintliche Vergangenheit unsere Gegenwart beeinflusst, sehen wir an Aussagen wie „das war schon immer so!“. Solange wir ohne handfeste Beweise davon ausgehen, dass ausnahmslos Männer für die Jagd zuständig waren, während die Frauen brav in der Höhle saßen und die Kinder aufzogen, wird das auch unsere Zukunft beeinflussen. Die Interpretation archäologischer Funde und Befunde hat Einfluss darauf, wie wir unsere Welt wahrnehmen und dient der Legitimierung des Status quo. Wie sehr die archäologische Forschung jedoch von gängigen Vorstellungen über Geschlechterrollen geprägt ist und damit ein Weltbild aufrecht erhält, das auf fragwürdigen Grundlagen basiert, zeigt der Zirkelschluss Schwert = Mann = nur Männer haben Schwerter. Dabei wird deutlich, dass wir sehen, was wir kennen und erwarten. Frauen wird dabei ebenso wie Menschen, die außerhalb der binären Geschlechterordnung stehen, ein Teil ihrer Geschichte vorenthalten, indem bestehende Weltbilder und Vorstellungen auf die Vergangenheit projiziert werden. Die mögliche Vielfalt an (Geschlechter-) Identitäten wird nicht berücksichtigt und es entsteht ein eindimensionales, verzerrtes Bild unserer Vergangenheit.
Mein herzlicher Dank für Literaturhinweise und Korrekturen im anthropologischen Teil geht an die Anthropologin Johanna Kranzbühler von http://skelettanalysen.de
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Doch Gewalt erzeugt Gegengewalt. Vor ein paar Tagen twitterte @Tofutastisch ein Bild von ihrem selbstgemachten T-Shirt mit dem Spruch „Macker gibt‘s in jeder Stadt – bildet Banden, macht sie platt.“ Und über sie brach ein Shitstorm herein. ( Der genaue Hergang ist hier nachzulesen ) Ist also einmal nicht die Frau die bedrohte, sondern es wird von ihr eine mögliche Gewaltausübung an Männern* auch nur in den Raum gestellt, ist die Kacke am Dampfen: Wie kann sie sich anmaßen, Gewalt an Privilegierten verüben zu wollen! Diese Furie!
Was von den Shitstormern aber als erstgemeinter Aufruf zur Hatz auf Männer* interpretiert wird (ja, auch Vergleiche zum Holocaust wurden gezogen), ist nur ein „Zurückschlagen“ mit dem Mittel der Ironie bzw. der Umkehrung – ein Akt der Selbstermächtigung, denn schließlich will eins sich auch mal zur Wehr setzen und angestaute Aggressionen abbauen. Die Ironie des T-Shirt-Spruchs zeigt sich bereits durch die Wortwahl: Die Rede war explizit nicht von Männern*, sondern eben von Mackern – also einem bestimmten Typ Mann mit entsprechender Attitüde. Es wird also zum Gegenschlag gegen diejenigen aufgerufen, die beständig – verbal oder auch physisch – Gewalt gegen Frauen ausüben. Durch die strukturelle Ungleichheit ist das aber keine wirklich ernstzunehmende Drohung, denn wer würde sich denn nun wirklich einen Frauenschlägertrupp vorstellen, der marodierend durch die Straßen zieht und Macker vor sich hertreibt?
An diesem Beispiel wird deutlich, wie hegemoniale Männlichkeit funktioniert: WHMs geben mit ihrer Deutungshoheit vor, was als Gewaltandrohung gilt und was nicht. Zu beachten ist hierbei, dass diese optionale Androhung von Gewalt nicht nur Frauen trifft, sondern auch unterschiedliche Konzepte von Männlichkeit existieren, die in einer Hierarchie zueinander stehen: Als un-männlich geltende Männer (z.B. Schwule oder Feministen) stören die Geschlechterdichotomie, da sie angeblich effeminiert bzw. weibisch sind oder gar unter der Fuchtel von Frauen stehen.
Die Vormachtstellung der tonangebenden Männlichkeitskonzepte wird durch permanente Gewaltandrohung aufrechterhalten: Benimm dich so, wie man es von dir erwartet, dann bekommst du auch nichts auf die Schnauze, dann wirst du nicht vergewaltigt etc. Das läuft ziemlich unterschwellig ab, vergiftet aber unsere Gesellschaft. Wird der Spieß umgedreht, offenbart sich: Es ist Gewalt, anderen Gewalt anzudrohen, denn sonst würden sich die Maskulisten darüber nicht so aufregen. Und es wird offensichtlich, dass sie nicht so „männlich“ und hart sind, wie sie tun – denn sonst würden sie ohne mit der Wimper zu zucken aushalten, was für viele Frauen und Minoritäten der normale Alltag ist: Unter der permanenten Androhung von Gewalt leben und es einfach aushalten müssen, weil dir der Mund verboten wird mit einem einfachen: „War doch nur ein Witz! Jetzt hab dich doch nicht so!“
Lesetipp
(auch für Maskulisten und Anti-Feminist_innen):
Robert Connell:
Masculinities
, Berkley/L.A. 2005.
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Ich möchte in dieser Archäologieserie zeigen, dass das Bild wesentlich differenzierter ist und dass pauschale Aussagen über Geschlecht und Geschlechterrollen nicht haltbar sind. In diesem einleitenden Artikel geht es um die grundlegende Frage der Perspektive, weitere Beiträge werden in unregelmäßigen Abständen folgen.
Die prähistorische Archäologie etablierte sich als akademische Disziplin in der zweiten Hälfte des 19. Jh., also zu einer Zeit, in der nur zwei sich diametral gegenüberstehende Geschlechter akzeptiert wurden, die gesellschaftlich getrennt und in ihren Rollen stark festgelegt waren. Zudem bestanden konkrete Zuschreibungen zu den Geschlechtern bzw. zu „männlichen“ und „weiblichen“ Eigenschaften. Die Einteilung von Grabfunden erfolgte primär über die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ und es entstand das Modell, dass in der prähistorischen Archäologie großteils bis heute verwendet wird. Es ist wichtig, archäologische Interpretationen vor diesem Hintergrund zu sehen, genauso wie es generell wichtig ist, wissenschaftliche Erkenntnisse im Kontext ihrer Zeit zu sehen. Da wir alle von Zeitgeist und Gesellschaft geprägt sind, gibt es auch in der Wissenschaft keine wirkliche Objektivität. Wir finden am ehesten, was wir suchen und wir erkennen am einfachsten, was wir bereits kennen. So ist es kein Wunder, dass in der prähistorischen Archäologie (implizit) von ihrem Anfang im 19. Jh. an bestimmte Rollenverteilungen und die (bürgerliche) Kleinfamilie als Standard vorausgesetzt wurden, die im erstarkenden Bürgertum an Popularität gewann. Unser Weltbild beeinflusst unsere Interpretationen. Das geht uns allen so, wird immer so sein und ist auch nicht per se ein Problem, solange wir uns dessen bewusst sind und einige Dinge beachten:
1. Als Lesende*r müssen wir uns (wie bereits gesagt) klar machen, dass wir Interpretationen immer im gesellschaftlichen und historischen Kontext sehen müssen und dass sie immer nur so weit gehen, wie die*der Interpretierende zu denken fähig ist. Auch die Frage, welchen Zweck die jeweilige Literatur erfüllen soll, ist nicht zu unterschätzen. Als drastischstes Beispiel wäre hier archäologische bzw. historische Fachliteratur aus der NS-Zeit zu nennen, deren Inhalt auf propagandistische Zwecke zugeschnitten war. Unter anderem wollten die Archäolog*innen eine durchgängige Ahnenlinie zwischen den German*innen und den Deutschen nachweisen, was nicht zuletzt zur Legitimation von Gebietsansprüchen genutzt werden sollte.
Wir müssen außerdem bedenken, dass Forschungsergebnisse oft temporär sind und nach einigen Jahrzehnten in Frage gestellt oder sogar völlig verworfen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Moorleiche, die nach ihrem Auffinden in den 1950er Jahren als „Mädchen von Windeby“ bezeichnet wurde. Aufgrund einer Geste (der sogenannten „Feigenhand“) wurde sie vom zuständigen Archäologen als Ehebrecherin interpretiert. Bei DNA-Analysen 2006 stellte sich heraus, dass es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um ein männliches Individuum handelt und die „Feigenhand“ erwies sich als nachträgliche Manipulation.
2. Als Interpretierende*r / Schreibende*r ist es wichtig, unsere Ausgangsposition für uns zu formulieren und für andere offen zu legen. Denn ein großes Problem ist, dass bestimmte Vorannahmen nicht kommuniziert oder diskutiert, sondern stillschweigend vorausgesetzt werden. Dazu gehört nicht nur die bereits genannte Voraussetzung der Kleinfamilie in archäologischen Kontexten, sondern zum Beispiel auch die feststehende Annahme, dass Waffen männliche Attribute sind und in Form von Beigaben als Indikatoren für Männergräber herangezogen werden können. (Mehr dazu im nächsten Artikel dieser Serie.)
Der zweite Punkt betrifft mich als Schreibende natürlich ebenso wie alle anderen. Meine Ausgangsposition ist aktuell folgende: Ich bin prähistorische Archäologin und habe einen genderwissenschaftlichen Schwerpunkt. Ich gehe davon aus, dass archäologisch nachweisbare Gesellschaften komplex und divers sind (ebenso wie unsere Gesellschaft), was dazu führt, dass mir Ausnahmen in archäologischen Befunden viel eher und viel positiver auffallen als traditionell geprägten Forscher*innen. Ebenso kann ich mir nicht vorstellen, dass immer und zu jeder Zeit ausnahmslos gleiche Geschlechterrollen vorherrschten – und daher versuche ich z.B. nicht, eine Frauenbestattung mit Schwert auf Biegen und Brechen zu einer Männerbestattung umzudeuten oder den möglichen Gebrauch des Schwertes wegzuargumentieren (auch dazu später mehr). Ich nehme zunächst keine Aufgabenteilung nach Geschlecht an. Außerdem suche ich explizit nach Ausnahmen von dem, was als Nachweis für traditionelle Rollenverteilung interpretiert werden kann und somit nach Belegen für die von mir angenommene Diversität. Das färbt meine Untersuchungen auf bestimmte Weise ein – auf andere Weise als Untersuchungen von traditionell geprägten Archäolog*innen. Ich versuche nicht, Ausnahmen wegzuargumentieren oder aus statistischen Gründen unter den Tisch fallen zu lassen – denn es geht nicht um eine Statistik, sondern um (vergangene) Lebensrealitäten und darum, ein möglichst umfassendes Bild der jeweiligen Gesellschaft zu rekonstruieren.
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Ich werde das Konstrukt „Geschlecht“ hinterfragen, und gleichzeitig vorbehaltlos akzeptieren, wenn sich jemand „Mann“ oder „Frau“ nennt. Oder weder noch. Oder beides.
Ich werde wütend sein und unbequem und laut.
Ich werde mich nicht zurückhalten.
Ich werde jedes Mal, wenn ich mich über etwas ärgere, etwas ändern. Jedes verdammte Mal!
Ich werde das Jammern denen überlassen, die sich mit der Welt abgefunden haben. Ich werde diese Welt zu meiner machen!
Ich werde Homophobie, Rassismus, Sexismus und Transfeindlichkeit, die ich erlebe oder die ich mitbekomme, als Diskriminierung entlarven.
Ich werde Diskussionen zu diesen Themen als Chance begreifen, etwas zu verändern und Menschen zum Nachdenken zu bringen.
Ich weiß, dass neues Wissen gewollt werden muss, und ich werde daher Hilfe zur Selbsthilfe geben. Und keine fertigen Lösungen.
Ich werde Macht dort, wo sie auf Privilegien beruht, nicht anerkennen und sie öffentlich anzweifeln.
Ich werde meine eigenen Privilegien hinterfragen. Und sie einsetzen, um nicht-priviligierten Menschen Raum und Gehör zu schaffen.
Ich werde nicht für andere marginalisierte Gruppen mitsprechen, sondern die Klappe halten und ihnen Raum lassen.
Ich werde niemanden „mitmeinen“. Ich werde sagen, wen ich meine. Ins Gesicht.
Ich werde mich verbünden, mit Gleichgesinnten zusammenrotten und vernetzen.
Ich werde solidarisch und, wenn nötig, nachsichtig sein mit Menschen, die das gleiche (oder ähnliches) erreichen wollen wie ich.
Ich will den besten Weg finden, Einfluss zu nehmen, und dann alles tun, was ich kann, damit sich die richtigen Dinge ändern.
Ich werde meine Aufmerksamkeit denen geben, die Achtung und Respekt haben, und denen nehmen, die hassen und verletzen.
Ich werde anstreben, meine Arbeitskraft denen zu geben, die meine Überzeugungen teilen, und denen entziehen, die sie mit Füßen treten.
Ich werde in Kaufhäuser gehen und die Spielsachen „für Jungs“ mit denen „für Mädchen“ mischen.
Ich werde meine ganze Kraft einsetzen, um jeden Tag etwas zu bewegen. In den Köpfen der Menschen und in der Welt.
Ich werde Produkte und Medien machen, unterstützen und kaufen, die nicht „Sparte“ sind und die von queeren Menschen, People of Color und antistereotypen Personen nur so strotzen oder von denen sie profitieren.
Ich will die Welt ändern und noch heute damit anfangen. Nicht morgen. Nicht gleich.
Jetzt.
Das Manifest entstand im Laufe des heutigen Tages auf Twitter unter dem Hashtag #mutwillig.
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Auf einer solchen Grabung war ich also, es war ein sehr, sehr heißer Sommernachmittag und wir alle waren aufgrund der Hitze ziemlich am Ende. Ich hatte meine eigene Grube abseits von den anderen und sah von Weitem eine Besuchsdelegation vom Denkmalamt anrücken. Einer der älteren Herren fand seinen Weg zu mir. Er duzte mich und fragte nach meinem Namen, was ich bereits seltsam fand, aber da der Umgang im Denkmalamt insgesamt locker und familiär ist, blieb ich nett und höflich. Und dann plötzlich die Frage
„Ist das nicht anstrengend, so als Frau?“
Ich war erstmal sprachlos. Und fassungslos. Und wütend. Und fühlte mich hilflos, weil ich vor lauter Ungläubigkeit keine knackige Antwort parat hatte.
Ja, es ist anstrengend. Weil ich nicht einfach in Ruhe arbeiten kann. Weil meine Fähigkeit, zu schaufeln, Dinge zu tragen und eine Schubkarre zu fahren an meinem Geschlecht gemessen und mir abgesprochen oder zumindest angezweifelt wird. Weil ich beharrlich darauf bestehen muss, den Job zu machen, für den ich eingestellt wurde. Weil ich oft genug auch bei extremer Hitze das Mehrfache leiste, damit niemand auf die Idee kommt, ich sei zu schwach. Weil ich verhasste Arbeiten (Schubkarre fahren z.B.) nicht abgeben kann, ohne abzuwägen, ob das auf mein Geschlecht und eine vermeintliche daraus resultierende Unfähigkeit zurück geführt wird. Weil ich oft genug das Gefühl habe, nicht bei der Arbeit zu sein, sondern ständig darauf vorbereitet sein muss, an einer Front zu kämpfen, die sich plötzlich aus dem Nichts auftut. Weil immer wieder Kommentare wie der oben genannte kommen.
Je nach Mitarbeitern [sic] ist es mal mehr und mal weniger anstrengend. Mit einer normalen Grabungsbelegschaft aus Denkmalamtleuten und fortgeschrittenen Studierenden konnte ich bisher meistens ungehindert meiner Arbeit nachgehen. Aufgaben wurden sinnvoll und fair verteilt und jede*r musste bzw. durfte alles einmal machen. Sobald aber Grabungsanfänger und Grabungshelfer (Freiwillige – meist ältere Männer – oder Ein-Euro-Jobber) dabei waren, ging regelrecht der Kampf los. Meine Fähigkeit für Aufgaben, die ich bereits wochenlang durchgeführt hatte, wurde in Frage gestellt, mir wurden wohlmeinend schwere Arbeiten abgenommen oder sogar verwehrt, Kommentare wie „Das ist doch viel zu schwer für dich“ waren kein Einzelfall. Ich musste darum kämpfen, meine Arbeit durchführen zu können, mir den Mund fusselig reden, immer wieder (durch extra volle Schubkarren und erhöhtes Arbeitstempo trotz praller Sonne) beweisen, dass ich sehr wohl in der Lage bin, meinen Job zu machen. Und immer wieder pauschalisierende Kommentare über Männer und Frauen anhören, die Zähne zusammenbeißen und hoffen, dass sie es irgendwann kapieren.
Das alles ist unheimlich frustrierend und kraftraubend. Und auf Dauer durch die zusätzliche Arbeitslast und die Notwendigkeit zur ständigen Kampfbereitschaft zermürbend.
Ja, es ist anstrengend, so als Frau. Aber nicht, weil ich biologisch eine Frau bin. Sondern, weil mich Zuweisungen und Stereotype hemmen, behindern, nerven – und am Ende die Arbeit für alle erschweren.
Ja, es ist schwer, so als Frau. Nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich zu einer Frau* gemacht werde.
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