„Es ist mir doch egal, was die Leute daheim im Bett machen, das geht doch niemanden etwas an! Als wenn das heute noch so eine große Sache wäre.“
Wenn Heterosexuelle über Homosexualität diskutieren, kommt dieses Statement. Immer. Und vor allem kommt es bei jedem Coming Out von Prominenten. Meistens ist es nett gemeint. Hilft aber nichts, denn es ist falsch. Sowas von falsch!
Angst
Es geht nicht darum, was wir im Bett machen. Es geht darum, was wir draußen machen. Für uns geht es darum, dass die Öffentlichkeit vermintes Gelände ist. Ein falscher Schritt, eine falsche Geste und dir fliegt dein Leben um die Ohren. Also Vorsicht. Immer. Pass auf, worüber du sprichst, wenn Leute zuhören könnten. Komm bloß nicht auf die Idee, im falschen Moment nach der Hand deines Lieblingsmenschen zu greifen. Jemand könnte es sehen und herumerzählen. Pass dich an. Fall nicht auf. Mach dich unsichtbar.
Das mag jetzt seltsam klingen, übertrieben, vielleicht sogar paranoid. Um unsere Angst zu verstehen, muss man wissen, wo und wann wir aufgewachsen sind. Wir kommen vom Dorf . Aus Bayern. Als Kinder bekamen wir die AIDS-Hysterie der 80er mit, ohne sie zu verstehen. Wir schnappten hie und da ein paar Begriffe auf. Schwulenkrankheit. Lustseuche. Meldepflicht. Absonderung. Wer sich die Details geben will, kann unter anderem hier nachlesen.
Mit uns hatte das damals alles nichts zu tun, aber es bestimmte den Kontext, in dem Homosexualität wahrgenommen wurde – auch von uns. Es war abartig, krank, gefährlich und vor allem weit weg. Dann kamen die 90er. Walter Sedlmayr wurde ermordet und längst nicht alle hatten Mitleid mit ihm. Freddy Mercury starb und wurde auf MTV betrauert. Das Konzert ihm zu Ehren sahen wir gemeinsam. Zwei beste Freundinnen.
Unsichtbarkeit
Zwei Jahre später kamen wir zusammen. Nach außen hin blieben wir beste Freundinnen. Wir haben nie auf der Straße Händchen gehalten. Wir haben uns nie in der Öffentlichkeit geküsst. Wir lernten, aus den Augenwinkeln zu kontrollieren, ob alle Türen und Fenster geschlossen waren.
Uns blieben unsere Gefühle lange fremd. Es gab weder Vorbilder noch Worte, um unsere Beziehung zu definieren. Homosexualität fand damals vor allem in nachmittäglichen Talk-Shows statt, in denen alles „Unnormale“ in einen Topf geworfen wurde. Schräge Vögel schrien einander an. Eine einzige Freak-Show. Uns betraf das nicht, zumindest redeten wir uns das ein. Wir lebten von Tag zu Tag und nutzten jede Chance, um zusammen zu sein. Wir begannen uns von anderen abzuschotten, um die gemeinsame Zeit auszudehnen. Nach außen hin galten wir als Spätentwickler, weil wir uns nicht für Jungs interessierten. In diese Nische flüchteten wir uns. Die Tage wurden zu Jahren und wir wuchsen zusammen. Was blieb, war die Angst. Angst davor, aufzufliegen. Angst, die Nischen zu verlieren, die wir uns geschaffen hatten. Diese Angst hat sich tief in uns eingefressen.
Machtdemonstrationen
Inzwischen sind wir seit 20 Jahren zusammen. Wir kümmern uns um einander, stärken uns gegenseitig und teilen unser Geld. Wir gehen gemeinsam durchs Leben. Wir lieben einander. Wir kämpfen für einander. Gesetzlichen Schutz haben wir nicht.
Nein, die sogenannte „Homo-Ehe“ ist keine richtige Ehe. Jeder kleine Krümel an Rechten muss juristisch erkämpft werden. An manchen Tagen fühlt es sich an wie Fortschritt. An den meisten Tagen ist es nichts anderes als eine Machtdemonstration. Jeder einzelne Prozess, der um ein wenig Gleichberechtigung geführt werden muss, ist im Grunde eine Machtdemonstration derer, die uns nicht die gleichen Rechte zugestehen wollen, die sie selbst in Anspruch nehmen. Sie geben uns dadurch zu verstehen, dass sie unsere Liebe für minderwertig halten. Unsere Beziehung für unreif. Und uns für falsch.
Sie zeigen uns das jeden Tag. Nicht nur in den Nachrichten. Sie zeigen es uns in Filmen und Fernsehserien, wenn Figuren explizit darauf hinweisen, dass sie nicht schwul sind. Sie zeigen es uns dadurch, dass es für homosexuelle Figuren kein Happy End gibt, weil sie im Laufe der Handlung ermordet werden. Oder dadurch, dass Menschen wie wir einfach nicht vorkommen. Das ist so gut wie immer der Fall und gilt dann als normal.
Sichtbarkeit
Darum ist es so wichtig, wenn Prominente ein öffentliches Coming Out haben. Menschen, die nicht von klischeeverliebten Drehbuchschreibern (die männliche Form ist hier bewusst gewählt) erfunden wurden, sondern Teil der Gesellschaft sind.
Bei einem Coming Out geht es nicht um sexuelle Vorlieben. Es geht darum, dass homosexuelle Menschen sich in der Öffentlichkeit sichtbar machen. Und vor allem geht es darum, dass Homosexuelle Vorbilder bekommen.
Mut
Filme und Serien sind voller männlicher, heterosexueller Helden, mit denen männliche, heterosexuelle Menschen sich identifizieren können. Ironischerweise sind männliche Heterosexuelle gerade die gesellschaftliche Gruppe, die für ihr alltägliches Handeln am wenigsten Heldenhaftigkeit benötigt. Den Mut brauchen die anderen. Diejenigen, die in der medialen Repräsentation so gut wie nie vorkommen. Den Mut brauchen wir.
Es braucht Mut, jeden Tag zur Schule oder zur Arbeit zu gehen und die offene Homophobie von LehrerInnen, MitschülerInnen oder KollegInnen auszuhalten. Es braucht Mut, im Kreise der Familie bei jedem Gespräch abzuwägen, wie viel Wahrheit die eigenen Eltern heute vertragen können. Es braucht Mut, den geliebten Menschen in der Öffentlichkeit zu küssen und die Blicke zu ignorieren.
Wir brauchen Mut für tausend kleine Handlungen. Für den ganz normalen Alltag. Denn anders als für Prominente ist es für uns nicht damit getan, einmal öffentlich zu erklären, dass wir homosexuell sind. Unser Coming Out findet täglich statt. Bei jedem Kuss im Restaurant. Bei jedem Händchenhalten auf der Straße. Bei jeder neuen Arbeitsstelle. Ein Leben lang. Es braucht Mut, sich jeden Tag wieder sichtbar zu machen.
Bei einem Coming Out geht es nicht darum, was Menschen im Bett machen.Es geht um Sichtbarkeit. Es geht darum, Raum für sich und sein Leben einzufordern. Und das ist eine verdammt große Sache.
Ein Gemeinschaftstext von Wildfang und Bones